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Essay: Die Drohne als Henker und Richter

Kampfdrohnen lauern ihrem Opfer mit großer Geduld auf. Dann schlagen sie unerwartet und absolut tödlich zu. Das gilt als Antwort der Hightech-Welt auf den asymmetrischen Krieg. Fair freilich ist es nicht.

Von Robert Birnbaum

Als Papst Innozenz II. im Jahre des Herrn 1139 zum Zweiten Laterankonzil nach Rom lud, hatte die Kirche eigentlich andere Sorgen als die ritterliche Kampfmoral. Innozenz hatte sich ein Jahrzehnt lang mit einem Gegenpapst herumschlagen müssen, der sich zeitweise im Petersdom verbarrikadierte. Ein gewisser Abaelard in Paris machte abendlandweit Skandal durch eine verbotene Liebe und ketzerische Lehren. In Klöstern und Priesterstuben war die Moral locker. Trotzdem fanden die Kleriker die Zeit für ein Verdikt in einer Rüstungsfrage: Wer die „todbringende und gottverhasste Kunst der Armbrust- und Bogenschützen gegen Christen und Rechtgläubige“ ausübe, werde exkommuniziert.

Was lange als Randnotiz der Kirchengeschichte behandelt wurde, gewinnt neuerdings ungeahnte Aktualität. Seit die Vereinigten Staaten ihren Drohnenkrieg gegen angebliche Terrorhelfer am Hindukusch führen, hat sich eine Debatte entwickelt, die den Kirchenmännern des Mittelalters bekannt vorgekommen wäre. Denn ihr Bannfluch hatte ein Motiv, das tausend Jahre später als Problem wiederkehrt. Die Armbrust und der Bogen setzten die Regeln des ritterlichen Kampfes außer Kraft. Sie waren als Waffen ethisch nicht neutral.

Ob das Gleiche für die bewaffnete Kampfdrohne gilt, wird in den USA schon länger und hitzig diskutiert. Hierzulande kommt die Debatte allmählich in Gang, seit Verteidigungsminister Thomas de Maizière angekündigt hat, auch die Bundeswehr mit den ferngelenkten Killer-Maschinen auszurüsten. In gewisser Weise war es sogar der CDU-Politiker selbst, der sie erst angestachelt hat mit der knappen Bemerkung, Waffen seien ethisch neutral.

Das stimmte offensichtlich nicht – wozu sonst die langen Listen völkerrechtlich geächteter Kampfmittel von der Dum-Dum-Munition bis zum Krieg mit Gift und Viren? De Maizière hat sich denn auch korrigiert. Seine neue Formel lautet, bei der Frage des Waffeneinsatzes gebe es „keinen ethischen, fachlichen und rechtlichen Unterschied zwischen bemanntem und unbemanntem Luftfahrzeug“, zwischen Kampfjet und Drohne.

Das klingt plausibler. Es stimmt aber auch nicht. Die Drohne verändert den Krieg, der mit ihr geführt wird. Und diese Veränderung ist nicht bloß graduell, sondern ziemlich fundamental.

Die neue Qualität wird nicht sofort offensichtlich. Trotzdem befällt die meisten Menschen Unbehagen bei dem Gedanken an die fliegenden Kampfmaschinen. Genau das, was Militärs daran so fasziniert, ist ihnen unheimlich. Dass so ein Ding sein künftiges Opfer monatelang verfolgen kann, dass der „Pilot“ ohne jedes eigene Risiko aus einem fernen Bunker die todbringende Rakete auslöst, widerspricht einem tief sitzenden Gefühl für Fairness. Es ist das gleiche Gefühl, das die mittelalterlichen Kleriker trieb. Der Bolzen der Armbrust durchschlägt die Rüstung aus weiter Ferne ohne Aussicht auf Gegenwehr. Die Fernwaffe entwertet den edlen, fairen und darum halbwegs gottgefälligen Zweikampf der Männer zum Gemetzel.

Unter Wehrpolitikern und Militärs wird dieses Gefühl gern als weltferne Romantik abgetan. Schließlich, die Armbrust hat sich durchgesetzt, so wie das Gewehr, die Kanone, das U-Boot, das Kampfflugzeug, die Cruise Missile. Und ging nicht die Idee vom Krieg als erweitertem Duell spätestens in den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs, im „Fleischwolf von Verdun“ zu Grunde?

In dieser Sicht, die sich selbst gern mit dem Banner des Realismus schmückt, ist die Kriegsgeschichte vom Neandertaler bis heute der Versuch, den Gegner immer effektiver zu treffen und die eigenen Leute immer besser zu schützen. Die Kampfdrohne erscheint dann nahezu als perfekte Waffe: Sie tötet gezielt, sie minimiert das Risiko für ihren Bediener. Warum, fragt auch der deutsche Verteidigungsminister rhetorisch in die Runde, soll es moralisch vertretbarer sein, das Leben eigener Soldaten zu gefährden statt einen Haufen Blech und Elektronik?

Das Argument klingt bezwingend für eine Gesellschaft, in der der Heldentod derart verpönt ist, dass selbst der Held im Kino nur noch ausnahmsweise sterben darf. Es übersieht allerdings eine zweite Konstante der Kriegsgeschichte, die sich bis ins Neandertal, ja bis zu unseren tierischen Vorfahren zurückverfolgen lässt: Der Kampf ist immer an Regeln gebunden. Und diese Regeln kreisen immer um das Prinzip der Fairness.

Ginge es nur darum, mit aller Macht militärisch zu obsiegen, wäre ein Begriff wie „Kriegsverbrechen“ sinnlos. Dann bräuchte es kein humanitäres Völkerrecht, das zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten unterscheidet, zwischen erlaubter Kriegslist und verbotener Heimtücke. Und dann müssten wir uns schon gar nicht den Kopf zerbrechen über all die politisch-psychologischen Fragen, die in Afghanistan in der Erkenntnis mündeten, dass der Kampf um die „Köpfe und Herzen“ am Ende wichtiger ist als jedes gewonnene Feuergefecht.

Dieser Kampf hängt nun auf das Engste damit zusammen, wie er geführt wird. Das Kampfmittel Drohne muss sich infolgedessen einer schlichten Frage stellen: Ist es fair? Nicht unfairer jedenfalls als andere moderne Fernwaffen, sagen seine Befürworter, eher im Gegenteil. Eine Rakete, ein Torpedo, ein Mörser würden ebenfalls aus sicherer Entfernung ausgelöst; ob ihr Abschuss auf das gewählte Ziel legitim sei, ergebe sich nicht aus der Waffe, sondern aus der Legitimität des Krieges insgesamt und der konkreten Ziel-Mittel-Relation. Der Drohnenlenker könne diese Abwägung sogar genauer treffen als der Kampfpilot im Jet, weil er seinem Opfer buchstäblich ins Auge sehe: Irrtum nicht ausgeschlossen, aber doch geringer als beim Jet-Piloten aus vielen Kilometern Distanz.

Da ist etwas dran. Das katastrophale Bombardement von Kundus wäre mit einer Drohne vermutlich nicht passiert – der Drohnenlenker hätte per Live-Video erkannt, was die zweifelnden Kampfpiloten nur vermuten konnten: Um die entführten Tanklaster standen nicht nur Taliban, sondern auch Dörfler und Kinder.

Allzu gerne übersehen wird freilich, dass diese Präzision der Zielansprache auch ein Nachteil sein kann. Sie verschärft ein Dilemma, das nicht neu ist, mit dem ferngelenkten Scharfschützen aber neue Qualität gewinnt. Bei jeder Militäraktion können Unbeteiligte zu Schaden kommen. Die Regeln des Krieges versuchen das zu verhindern; sie verbieten absichtliche Angriffe auf Zivilisten und fordern größtmögliche Anstrengung, um „Kollateralschäden“ zu vermeiden.

Tagesspiegel-Redakteur Robert Birnbaum
Tagesspiegel-Redakteur Robert Birnbaum

© Tsp

Trotzdem passieren sie, und das Völkerrecht akzeptiert sie in gewissem Umfang als technisch unvermeidlich. Indes – wenn dem Bomberpiloten noch viele abnehmen mögen, dass er aus den Wolken zwischen Hochzeitsfest und Rebellentreff, zwischen dem Kämpfer hinter der Hecke und dem Bauern hinter der gleichen Hecke nicht unterscheiden konnte, glaubt das dem Drohnenschützen niemand mehr. Er kann Fehler besser vermeiden. Genau darum wiegen Fehler, die er macht, unvergleichlich schwerer. Er wird immer im Verdacht stehen, den Tod der Unbeteiligten, der Mütter und Kinder im Haus neben der Rebellenstellung, sehenden Auges in Kauf genommen zu haben.

Wer glaubt, dass der Fehlschuss nur ein Problem der Rechtfertigung für den Mann am Monitor darstelle, verkennt die Tragweite. Wer hofft, das Risiko begrenzen zu können, in dem er eine Liste von erlaubten und nicht erlaubten Einsatzfällen aufstellt, hätte immerhin erkannt: Analogien greifen zu kurz. Die Kampfdrohne ist kein Flugzeug, bei dem der Pilot bloß woanders sitzt; so wenig wie das U-Boot ein Schiff mit besonders viel Tiefgang ist. Sie braucht für ihre eigenen, neuen Möglichkeiten und Risiken eigene, neue Regeln. Fängt man das Nachdenken darüber konkret an, wird rasch klar, dass die Kampfdrohne ihrer Natur nach ausgerechnet dort militärisch am verlockendsten ist, wo politisch die größte Gefahr droht. Für reguläre Kriege ist sie bisher eher bedeutungslos. Das Spezialgebiet der real existierenden Drohne steckt in den Namen, auf die die USA ihre Ungeheuer taufen: „Reaper“, Sensenmann, heißen sie oder „Predator“, das Raubtier.

Anders als im symbolisch gemeinten Panzerzoo der „Marder“, „Pumas“ und „Leoparden“ beschreiben diese Namen sehr präzise, was die Kampfdrohne auszeichnet: Sie kann ihrem Opfer mit äußerster Geduld auflauern, bis der Moment günstig scheint; dann schlägt sie unerwartet und absolut tödlich zu.

Dieses Vorgehen erinnert nicht zufällig an jene Art von Sprengfallen, die in westlichen Militärkommuniques stets als „feige“ gegeißelt werden. Die Drohne ist die Antwort der Hightech-Welt auf den asymmetrischen Krieg; eine „resymmetrierende“, das Gleichgewicht partiell wiederherstellende Waffe nennt sie der Wissenschaftler Herfried Münkler. Mit gepanzerten Heeren ist gegen Selbstmord- und Guerillakämpfer wenig auszurichten. Aber wer ihnen ein Raubtier nachhetzt, der kann sie erwischen.

Das Problem ist nur, dass sich der Verfolger damit politisch-moralisch auf die Ebene der Terrorkrieger einlässt. Die Bundeswehr zeichnete sich in ihrem Selbstverständnis bisher dadurch aus, dass sie mit den Menschen in den Einsatzgebieten verständnisvoll und mit ihren Gegnern fair umgeht. Aus der Perspektive dessen, auf den ihr Videoauge starrt, ist die raketenbestückte Drohne aber das Gegenteil von fair. Sie erscheint ihm als fliegender Hinterhalt, so „feige“ wie uns der Bombenanschlag. Und das gilt keineswegs nur in Pakistan, wohin die US-Regierungen seit George W. Bush ihre Attentatsmaschinen als Richter und Henker zugleich senden.

Dass die Bundeswehr Kampfdrohnen für solche Zwecke nicht gebrauchen wolle, hat Thomas de Maizière versichert. Doch es ist wohl nicht nur Rücksicht auf den Verbündeten, dass der Minister unscharf bleibt bei der Formulierung, welche Zwecke genau er denn ausschließen will. Die Unschärfe liegt in der Sache selbst. Der asymmetrische Konflikt verwischt die Grenzen zwischen Krieg, Volksaufstand und Verbrechen.

In dieser Lage selbst eindeutig zu bleiben, ist fast unmöglich. Wo endet die Abwehr einer drohenden Gefahr, wo beginnt die Menschenjagd? Natürlich könnte sich die Bundeswehr verpflichten, die Kampfdrohne nur zur Selbstverteidigung in Notlagen einzusetzen. Sie könnte das größte Potenzial dieser Waffe brachliegen lassen und die Jagd auf Anführer weiter Spezialsoldaten überlassen, die Verdächtige fangen, nicht töten sollen.

Wen dieser Auftrag übrigens an die vermeintlich überholten Ideale der Ritterlichkeit erinnert, der liegt auch nicht ganz falsch. Moral im Krieg, dieser scheinbare Widerspruch, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Die eigenen Leute vor Gefahr zu schützen, kann nur dann oberster Imperativ sein, wenn die Mittel verhältnismäßig bleiben. Doch ob sie das sind, entscheidet in Kriegen, die wesentlich politisch-propagandistisch geführt werden, nicht eine Seite allein. Der Spezialsoldat riskiert das eigene Leben; er ist in den mittelalterlichen Denkstrukturen Afghanistans, Malis oder Somalias ein akzeptabler Gegner. Ob das einer „Predator“-Drohne je gelingt, muss man bezweifeln. Der üble Ruf, den ihre amerikanischen Schöpfer ihr verpasst haben, klebt als unsichtbares Etikett auf ihren Flügeln: „killer drone“. Dagegen sind Einsatzregeln so machtlos wie Semantik – aus Mördermaschinen werden auch durch gutes Zureden im Bundestag keine „bewaffneten unbemannten Luftfahrzeuge“.

Dass sie missbraucht werden kann, macht eine Waffe nicht unmoralisch. Politisch und strategisch untauglich werden kann sie dadurch sehr wohl, im Einsatz wie an der politischen Heimatfront. Mindestens stellt sich die Frage nach ihrem realen Nutzen anders als in den taktisch-optimistischen Bewertungen der Militärexperten. Wer die Kampfdrohne haben will, muss also wissen: Wo das Raubtier am Himmel auftaucht, ist der Kampf um „hearts and minds“, Herz und Verstand der Menschen, schon verloren. Für sie ist die Drohne das, was für die mittelalterlichen Kirchenväter die Armbrust darstellte – eine feige, eine unfaire, eine „todbringende und gottverhasste Kunst“.

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