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Essay: Die Krise - ein Schauspiel der Ohnmacht

Die Hauptverursacher der Krise sind gleichzeitig deren Gewinner. Den Kampf um eine Neuordnung der Finanzbranche haben Angela Merkel und ihre Kollegen gar nicht erst angetreten,

Die Inszenierung ist immer wieder beeindruckend: Da empört sich Deutschlands Kanzlerin über die „Schande“, dass just jene Banken, „die uns an den Abgrund gebracht haben“, auch aus dem Schuldendebakel der Griechen ein Geschäft machen und verspricht, eine „neue Verfassung für die internationalen Finanzmärkte“. Da zetert Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy über die „Entartung des Kapitalismus“ und fordert wie einst nur die Aktivisten von Attac die „Besteuerung der Spekulation“ gegen „die Raserei der Finanzmärkte“. Da droht Luxemburgs Premierminister Jean- Claude Juncker im Namen aller Regierungen der Eurozone, man werde den Spekulanten die „Folterwerkzeuge“ zeigen und selbst Amerikas Präsident Barack Obama wettert gegen die „Bonzen an der Wall Street“ und prahlt wie ein Straßenjunge, er sei „bereit zum Kampf, wenn diese Leute ihn wollen“. So scheint das Versprechen der Regierenden in Europa und den USA völlig klar: Die Bändigung der Finanzindustrie zugunsten der übrigen Wirtschaft genießt höchste Priorität und die Verantwortlichen tun alles, „damit sich eine solche Krise nicht wiederholt“, wie Angela Merkel versicherte.

Doch dieses Schauspiel ist zutiefst verlogen. Tatsächlich sind Merkel, Sarkozy, Obama und ihre Mitstreiter auf diesem Weg bis heute keinen Schritt vorangekommen. Der moralische Protz ihrer Versprechungen steht im umgekehrten Verhältnis zu den tatsächlich ergriffenen Maßnahmen und verstellt den Blick auf ein Politikversagen, dass eher früher als später das ganze Netz der globalisierten Wirtschaft zu zerreißen droht.

Fast drei Jahre ist es jetzt schon her, dass mit dem Platzen der amerikanischen Immobilienblase die ersten Banken wie die deutsche IKB oder der Schweizer Geldriese UBS Milliardenverluste erlitten. Und spätestens seit dem Fall von Lehman Brothers im September 2008 und den milliardenschweren Rettungsaktionen für die übrige Bankenwelt ist klar, dass die Deregulierung der Kapitalmärkte ein zerstörerisches „Monster“ hervorgebracht hat, wie Bundespräsident Horst Köhler beklagte. Mindestens 100 Millionen Menschen haben deswegen weltweit ihre Arbeit verloren. Der wirtschaftliche Schaden ist größer, als der Gesamtwert aller in den USA produzierten Güter und Dienstleistungen eines Jahres und die Staatsverschuldung wird nun ihrerseits zur Bedrohung.

Trotzdem wurde bis heute keiner der Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen. Im Gegenteil: Die Hauptverursacher der Krise sind nun sogar die Gewinner und schanzen sich schon wieder zweistellige Millionengehälter zu. Und immer sichtbarer wird, dass die Fehlentwicklung der globalisierten Finanzwelt einer kleinen Clique aus den Führungsetagen von etwa 15 globalen Finanzkonzernen eine Macht in die Hände gespielt hat, die sich jeder demokratischen Kontrolle entzieht.

Das begann schon damit, dass die Bankfürsten selbst die Bedingungen diktierten, zu denen ihre Geldkonzerne mit Steuergeld gerettet wurden. In Deutschland ging das so weit, dass der Vertreter der Geldwirtschaft, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, persönlich die Kernpunkte mit der ahnungslosen Kanzlerin und ihrem überforderten Finanzminister aushandeln konnte. Anschließend erstellte die weltweit für die Finanzbranche aktive Anwaltsfirma Freshfields den zugehörigen Gesetzentwurf, der dann putschartig durchs Parlament gepeitscht wurde. Ganz ähnlich lief es in London, Paris oder Washington. So wurde von Anfang an verhindert, dass die zahlungskräftigen Gläubiger der in Schieflage geratenen Geldhäuser, also jene, die das Geld für die Fehlspekulationen bereitgestellt hatten, auch für die Sanierung zahlen mussten – so wie es bei jeder anderen Pleite selbstverständlich ist. Die Aushebelung dieses Grundprinzips der Marktwirtschaft machte viele Finanzkonzerne wie die Unicredit oder JP Morgan und vor allem die Deutsche Bank und den Wall-Street-Primus Goldman Sachs zu den größten Nutznießern der von ihnen selbst mit verursachten Krise.

So erhielt allein die Deutsche Bank über die Rettung der US-Versicherung AIG, deren Bonusjägern die Deutschbanker ihre Risiken aus dem US-Hypothekengeschäft angedreht hatten, mehr als zehn Milliarden Dollar. Mindestens noch einmal die gleiche Summe kassierte die Bank aus den übrigen Rettungsaktionen und genauso profitierten die Kollegen bei Goldman Sachs. Dabei waren gerade diese Geldriesen zuvor führend bei der Vermarktung jener „toxischen“ Kreditpakete, die bis heute die Bilanzen ihrer Kunden verheeren. Schlimmer noch: Während die Goldmänner und die Deutschbanker noch die faulen Kredite bei den weniger smarten Kollegen in Landesbanken oder Pensionsfonds unterbrachten, setzten die Handelsstrategen derselben Unternehmen bereits seit Herbst 2006 im großen Stil auf den Ausfall eben dieser Anlagen. Als der Wertverfall der von ihnen selbst vermarkteten Papiere dann eintrat, machten sie darauf noch einmal Gewinn – ein ungeheuerlicher Vorgang, der in der übrigen Wirtschaft völlig undenkbar wäre. Hersteller von Konsumgütern haften für Schäden aus fehlerhaften Produkten selbst dann, wenn kein Verschulden vorliegt. Hier aber wurden skrupellos Produkte vermarktet, von denen die Verkäufer wissen mussten, dass sie ihren Kunden gigantische Verluste einbringen würden.

Allein schon diese Episode dokumentiert, dass sich die Gemeinde der Investmentbanker und ihrer Mittäter bei Rating-Agenturen und Hedgefonds zu einer Parallelgesellschaft entwickelt hat, die Normen und Werte der übrigen Gesellschaft für sich nicht gelten lässt. Gleichzeitig gelingt es ihnen aber bis heute, den politischen Prozess rund um ihre Geschäfte beliebig zu manipulieren. Simon Johnson, vormals Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, beschrieb die Plünderung der Staatskassen zur Stützung des Bankensystems darum als „Silent Coup“, als stillen Staatsstreich einer kleinen Clique von Finanzmanagern wider die Grundregeln von Marktwirtschaft und Demokratie.

Die Basis dieser Macht ist die schiere Größe. Geldkonzerne, die Finanzanlagen von bis zu zweitausend Milliarden Dollar verwalten, kann keine Regierung jemals pleitegehen lassen, weil dies das Zahlungssystem zerstören und unermesslichen Schaden anrichten würde. Diese implizite Staatsgarantie verschafft ihnen nicht nur unbegrenzt billigen Kredit und damit eine grobe Verzerrung des Wettbewerbs. Zugleich macht sie Regierungen im Krisenfall erpressbar und schon die Drohung mit einer möglichen Verknappung der Kredite reicht aus, um jede Regierung gefügig zu machen. Der einzige Ausweg aus dem „Too-big- to-fail“-Problem, so folgert Johnson, sei die radikale Verkleinerung der Finanzkonglomerate auf Bilanzsummen von maximal 100 Milliarden Dollar, entsprechend etwa einem Zehntel der heutigen Größe der Deutschen Bank. Jenseits dieser Grenze gebe es keine betriebswirtschaftlichen Größenvorteile mehr, sondern lediglich eine zum Missbrauch führende wirtschaftliche Macht. Ganz ähnlich argumentieren auch Großbritanniens Notenbankchef Mervyn King, der frühere Chef der Federal Reserve Paul Volcker und der amtierende FedDirektor Richard Fisher, allesamt Fachleute, die jeder linksradikalen Neigung unverdächtig sind. Und nicht zuletzt auch die deutsche Kanzlerin erklärte, keine Bank dürfe „mehr so groß sein, dass sie wieder Staaten erpressen kann“. Das sei „der wichtigste Punkt.“

Doch den dazu nötigen Machtkampf haben Merkel und ihre Kollegen gar nicht erst angetreten. Stattdessen verlegten sie sich bei ihren pompös inszenierten Finanzgipfeln auf die bequeme Strategie, das System über bessere Regeln und Aufsichtsbehörden krisenfest zu machen. Dazu ließen sie sich von ihren Beamten wohlklingende Grundsätze aufschreiben, wie etwa die Forderung, dass es keine unregulierten Produkte, Märkte und Finanzgesellschaften mehr geben dürfe. Auch sollten alle Akteure künftig höhere Mengen Eigenkapital als Krisenpuffer aufbauen und weniger auf Kredit zocken. Alles weitere delegierten sie sodann an internationale Technokraten-Gremien wie den Basler Ausschuss für Bankenaufsicht oder die EU-Kommission. Dort sollen nun die gleichen Leute, die vorher offensichtlich versagt haben, losgelöst von jeder parlamentarischen Kontrolle einen Konsens zwischen jeweils 27 Staaten über neue Aufsichtsregeln aushandeln. Weil die Staaten und ihre Banken jeweils unterschiedlich betroffen sind, ist dieses Verfahren eine Einladung an die Finanzlobby, die Vertreter der nationalen Behörden so lange gegeneinander auszuspielen, bis der resultierende Kompromiss weitgehend wirkungslos bleibt.

Eine Kostprobe für diesen politischen Unfug liefern die bereits vorliegenden EU-Richtlinien zur Regulierung von Hedgefonds und Rating-Agenturen. Beide werden am Geschäftsmodell dieser tief in kriminelle Insidergeschäfte und den organisierten Betrug mit faulen Wertpapieren verstrickten Unternehmensformen nichts verändern. Die vielfach nachweislich falschen Bonitätsnoten der Agenturen sind sogar bis heute gesetzlich festgelegter Bestandteil der Bankenregulierung. Und ausgerechnet beim Handel mit sogenannten Credit Default Swaps (CDS), jener destruktiven Geschäftsstrategie, die die Lehman-Pleite erst zu einem systemgefährdenden Ereignis machte, geschah überhaupt nichts.

Darum können sich „Spekulanten“ noch immer gegen den Ausfall von Anleihen versichern, die sie gar nicht besitzen, gerade so, als wäre der Kauf von Brandversicherungen auf fremder Leute Gebäude erlaubt. Das ist zwar volkswirtschaftlich nutzlos, würde aber Brandstiftung zum Bombengeschäft machen. Genau das veranstalten die noch immer unregulierten Hedgefonds im Verein mit Investmentbanken und Rating-Agenturen mit Griechenland. Erst deckten sie sich mit solchen Pseudoversicherungen (Branchenjargon: „naked CDS“) auf Griechen-Anleihen bei Goldman und Co ein, die dafür satte Prämien erzielten. Dann plötzlich stuften die Agenturen die Bonität der Griechen herunter, obwohl sie lange vorher wussten, dass die Staatsfinanzen in Athen schlecht geführt und Statistiken gefälscht wurden – schließlich waren sie offiziell unterrichtet. Prompt verdoppelten sich daraufhin die CDS-Preise für die Griechen-Papiere, weil sich jetzt die tatsächlichen Besitzer der Anleihen gegen Wertverfall absichern wollten. Und eine willfährige Wirtschaftspresse half die Angst weiter zu schüren, indem sie „die Märkte“ wie in alten Zeiten zur höheren Gewalt stilisierte, der die Politik sich zu fügen hat. Die Fonds strichen damit mal eben 100 Prozent Gewinn ein. Die höheren Prämien signalisierten aber nun höhere Risiken, das verteuerte die Zinsen für Athens Schulden, und nun haben es ausgerechnet die Analysten von Moody’s in der Hand, Griechenland endgültig in die Pleite zu treiben. Senken sie ein weiteres Mal den Daumen, darf die Europäische Zentralbank (EZB) wegen ihrer überholten Regeln Griechen-Anleihen nicht mehr als Sicherheit akzeptieren und der damit erzwungene Massenverkauf dieser Papiere würde die Zinsen so hoch treiben, dass der höhere Schuldendienst alle Sparanstrengungen in Athen zunichte machen würde.

All das ist so bizarr, dass die Reformverweigerer im Amt sich nun genötigt sehen, die alte Inszenierung noch einmal aufzuführen. Da redet dann Finanzminister Wolfgang Schäuble dem schon seit Herbst 2008 geforderten Verbot der „nackten CDS“ das Wort und die EZB-Direktoren erwägen die Verbannung der Rating-Agenturen aus dem offiziellen Regelwerk. Gleichzeitig verweisen aber alle Beteiligten einmal mehr auf die internationale Koordination und zu erwarten steht, dass auch die absichtlich betriebene Eskalation der Eurokrise nichts an den destruktiven Geschäftspraktiken ändern wird. Gleichzeitig warnte jetzt die Bank der Notenbanken in Basel, deren Ökonomen auch die vorherige Krise präzise vorhergesagt hatten, dass „die Finanzfirmen wieder zu dem aggressiven Verhalten aus der Zeit vor der Krise zurückkehren“ würden und eine „exzessive Risikoübernahme“ betreiben.

Dieses Versagen der Politik zeigt an, dass weit mehr auf dem Spiel steht als Konjunktur und Staatsfinanzen. Je länger die Finanzoligarchen die Regierungen derart vorführen, umso mehr verkommt die Demokratie zu einem Schauspiel der Ohnmacht, das die Bürger gefährlichen Populisten in die Arme treibt. Schuld daran ist jedoch auch die Trägheit der Vielen, die sich zwar ärgern, aber ihre demokratische Teilhabe allenfalls auf die nächste Wahl beschränken. „Die wichtigste Lehre der Krise sollte sein, dass wir Banken keinen politischen Einfluss mehr geben dürfen, wie müssen die Macht der Wall Street brechen“, fordert Krisenexperte Johnson. Damit sind die Regierungen allein offenkundig überfordert. Es wird Zeit sich einzumischen. Wer das versäumt, bekommt vermutlich schon bald die Krise, die er verdient.

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