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Essay: Du sollst dir ein Bild machen!

Was ist das? Man hat es, aber es ist kein Ding. Es ist flüchtig – und doch nicht ideell. Antwort: Das sind unsere neuen Statussymbole.

Von Anna Sauerbrey

Die beiden Mädchen sitzen – eine rechts, eine links – auf der Treppe, die in den zweiten Stock der Grundschule führt. Es ist kurz vor acht Uhr, gleich beginnt die erste Stunde. Die Schüler, die durch das allgemeine Stimmengewirr in die Räume in den oberen Stockwerken drängen, fädeln sich zwischen den beiden hindurch. Dabei rufen die Mädchen jedem der anderen Kinder eine Zwei-Wort-Stilkritik zu: „coole Tasche“; „coole Schuhe“; „schöne Brille“.

Es ist eine Szene wie aus dem Soziologielehrbuch. Innerhalb weniger Sekunden wird jeder der Schüler mit einem Objekt identifiziert. Guten Morgen. Du bist, was du hast.

Dass die Bedeutung von Gegenständen weit über ihre Funktionalität hinausgeht, ist ein Allgemeinplatz der Gesellschaftswissenschaft und der Marktforschung. Was wir kaufen, wie wir uns kleiden, was wir essen und trinken, welche Reisen wir buchen, all das dient neben der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung immer auch als Mittel der sozialen Abgrenzung. Konsum ist Kommunikation.

Objekte sind die Requisiten der täglichen Selbstdarstellung. Der französische Großsoziologe Pierre Bourdieu nannte das „Habitus“. Er verstand darunter die Gesamtheit der Gewohnheiten und Güter, die einen Lebensstil ausmachen, der wiederum einen Menschen als Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe kennzeichnet. Der Habitus prägt unseren Geschmack. Und der Geschmack bewirke, schreibt Bourdieu, „dass man hat, was man mag, weil man mag, was man hat“.

Der Satz steht in „Die feinen Unterschiede“, erschienen erstmals 1979. Wer beginnt, die Welt durch die Augen Bourdieus zu betrachten, etwa an einem Mittwochmorgen in einer Berliner Grundschule, bekommt den Eindruck: Es hat sich seither nichts geändert. Aber stimmt das? Funktionieren Statussymbole 2012 noch genauso wie 1979?

Ja und nein. Dass wir Dinge nicht nur kaufen, weil wir sie zum Überleben brauchen, ist unbestritten. Niemand „braucht“ eine Patek Philippe. Niemand „braucht“ ein Iphone. Seit 1979 haben sich aber mindestens die Zeichensysteme geändert. Bei Bourdieu verlaufen die sozialen Grenzen zwischen der Fleischkonserve und dem Krustentier. Heute windet sich der gesellschaftliche Stacheldraht zwischen dem tiefgefrorenen Cordon bleu aus dem Discounter und dem Filet vom Brandenburgischen Charolais-Rind. Und es gibt Anzeichen dafür, dass wir außerdem dabei sind, in eine völlig neue Phase des Konsumenten-Daseins einzutreten.

Noch ist es nur ein kleines Zittern der Märkte. Doch sollten sich die Trends zu einem Beben ausweiten, könnte sich Grundlegendes verändern. Gegenstände könnten an Bedeutung verlieren. Gleichzeitig würden sich die Wechselwirkungen zwischen Konsum und Gesellschaft verstärken.

Selten wurde mit so viel Angst und gleichzeitig so viel Hoffnung auf den privaten Konsum geschaut wie im Jahr 2012, im Irgendwo zwischen der Hoffnung, die Finanzkrise überstanden zu haben und der Befürchtung, dass der Klimawandel spürbar wird. Auf den Verbrauchern lastet einerseits die kurzfristige Hoffnung der Konjunkturbeobachter. Dass Deutschland bislang so gut durch die Krise kommt, liegt nicht zuletzt an deren Kauffreudigkeit. Die Deutschen verdienen gut, aber trauen den Banken und Börsen nicht. Deshalb tragen sie jeden übrig gebliebenen Euro in den Mediamarkt. 2011 legten die Verbraucherausgaben um 1,5 Prozent zu, für das Jahr 2012 sagt die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) immerhin einen Anstieg von einem Prozent voraus. „Der private Konsum“, freut sich Matthias Hartmann, der Vorstandsvorsitzende der GfK, „liefert einen stabilen Beitrag zur Konjunktur und verhindert ein Abgleiten in die Rezession.“ Die Kauflust rettet das Bruttoinlandsprodukt.

Gleichzeitig stellen Politiker und Denker von der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt bis zum Nobelpreisträger Amartya Sen den Sinn des wirtschaftlichen Wachstums – also des Mehr-Konsums! – infrage. Nachhaltigkeit ist das Zauberwort, das Ziel eine Gesellschaft, die Ressourcen schont und den Klimawandel bremst. Die Wachstumsskepsis bildet sich bereits als „Megatrend“ ab. Darunter verstehen Zukunfts- und Trendforscher in Abgrenzung zu kurzlebigen Moden langfristige gesellschaftliche Entwicklungen, die „Tiefenströmungen“ im Wandel der Märkte sozusagen. Zu den Treibern der Megatrends des Konsums zählen die Vereinzelung der Gesellschaft, die Globalisierung, die Alterung der Gesellschaft und das Umweltbewusstsein.

Der moderne Verbraucher will moralisch einwandfreie, „gute“ Produkte, das zeigen der Bio-Boom und der Trend zum LOHAS, zum „Lifestyle of Health and Sustainability“, zu einem gesunden und nachhaltigen Lebenswandel. Manche Trendforscher sehen sogar eine Tendenz dazu, insgesamt weniger zu besitzen.

„Neue Bescheidenheit“ nannten das die Unternehmensberater von McKinsey in einer Studie zum Konsum der Zukunft. Das Nicht-Besitzen wird schick, zum Beispiel als Car-Sharing. Start-ups entwickeln Modelle für Großstädte, große Konzerne wie die Bahn machen das Auto-Teilen zum Angebot, Unternehmen reduzieren ihre Flotte und stellen auf gemeinschaftliche Dienstwagen um. Im „Global Green Index“ der GfK, einer Verbraucherbefragung zu den Umweltgewohnheiten, diktierte im Oktober 2011 jeder dritte Deutsche den Marktforschern in den Block, er verzichte öfter auf das Auto und nutze alternative Fortbewegungsmittel.

Natürlich ist das Bild in Wahrheit komplizierter. Die mit dem Skalpell voneinander getrennten Gesellschafts- und Konsumentenschichten, wie sie Bourdieu präparierte, verschwimmen. Der „hybride Konsument“ liegt ebenfalls im Trend, und er kauft sowohl im Discounter als auch Premium, mal den Dreierpack vom Wühltisch, mal die feine Seidenunterwäsche.

Noch immer sind Luxusartikel unentbehrliche Symbole des Reichtums. Der deutsche Markt soll im vergangenen Jahr um 16 Prozent gewachsen sein, sagen die Berater von Roland Berger. Der Fundus der Selbstinszenierung in diesem Segment wird modernisiert mit der Vorsicht der Traditionalisten: Autos, Uhren, Kleidung, Handtaschen, Parfum, alles seit Jahrzehnten da, neu ist nur das Ipad, natürlich in der Echtleder-Hülle.

Dennoch kann man festhalten, dass Konsum zunehmend ideologisch aufgeladen wird. Einstellung und Kaufen, Mensch und Produkt werden zur Einheit. Das ökologische Denken stand einmal weit außerhalb der Marktwirtschaft. Es wurzelt in den achtziger Jahren, in der Sorge um das Waldsterben, im Ärger über die Vermüllung der Landschaft, in der Angst vor der Atomkraft. Es war einmal eine Anti-Konsum-Bewegung.

Doch der Markt wäre nicht der Markt, hätte er den Trend nicht zu Geld gemacht und Sorgen, Ärger und Angst in Müslis und von Hand gefertigte Nostalgieprodukte verwandelt. Der Markt war es, der den Ökos jene Produkte von Alnatura und Manufaktum gab, die sich inzwischen zu Statussymbolen der bürgerlichen Mittelschicht entwickelt haben. Man kauft Bio aus Überzeugung, aber auch als Ausdruck sozialer Identität. Gleichzeitig wirkt das richtige Kaufen als Instrument der Bewegung. Dein Konsum rettet den Planeten.

Verstärkt wird die Verschränkung von Selbstbild und Konsum, von Mensch und Produkt durch einen zweiten „Megatrend“, die Digitalisierung. Nach außen zeigt sich die Wirkung der Digitalisierung im Statussymbol Handy. Die Europäer kauften im vergangenen Jahr die schier unvorstellbare Menge von 258 Millionen neuer Handys.

Bedeutsamer aber noch ist, was sich abspielt, wenn die Menschen sich erst einmal mit den neuen Kommunikationsgerätschaften ins Netz eingeloggt haben. Die Möglichkeiten der Selbstdarstellung im Internet haben das Potenzial, die Hierarchie der Statussymbole und damit den Konsum auf den Kopf zu stellen.

Schon im Sozialmodell von Pierre Bourdieu sind Gegenstände nur einzelne Steinchen im großen Mosaik „Habitus“. Eine wichtigere Rolle noch spielen Bildungsbeflissenheit und Kunsturteil, mit wem man verkehrt, wie man sich ausdrückt, sich bewegt, wie man eine Gabel hält oder kaut. In den sozialen Netzwerken verlieren diese immateriellen Bestandteile des Habitus ihre Flüchtigkeit. Auf Facebook lässt sich für immer dokumentieren, welche Bücher man gelesen hat, wohin man gereist ist, welches Restaurant man besucht hat.

Auch das „soziale Kapital“ lässt sich dokumentieren. Schau, mit was für interessanten Leuten ich befreundet bin! Facebook ermöglicht, Menschen zu Accessoires zu machen, sich mit ihnen zu schmücken wie mit einem glitzernden Collier. Facebook macht Dinge zu Statussymbolen, die sich bislang nur bedingt dazu eigneten. Bourdieu unterschied noch zwischen dem Sein und dem Schein, dem nach außen Sichtbaren und dem Unsichtbaren eines Lebensstils. Essen etwa wird erst dann zum Statussymbol, wenn Gäste kommen. Die sozialen Netzwerke aber bieten die Möglichkeit, mit den verborgenen Details des Alltags zu prahlen: mit dem Sport den man treibt (10 Kilometer in 58 Minuten), mit den Doraden, die man sich kocht, mitten in der Woche, einfach mal so.

Für die Industrie könnte das schlecht sein. Im Prinzip muss man Gegenstände nicht mehr kaufen, um sich mit ihnen zu brüsten. Marken, sagen Experten, müssen vor allem ein Gefühl vermitteln. Obwohl viele Menschen bei Tests sagen, dass ihnen Pepsi besser schmeckt, kaufen sie Coca Cola, wegen irgendeiner diffusen Fantasie, die Werbeexperten in Jahrzehnten sorgfältiger Markenpflege im Unterbewusstsein der Verbraucher verankert haben.

Heute reicht es, der „Fan“ einer Marke zu werden, um sich mit dem dahinterstehenden Traum zu verbinden. Es reicht, das Bild eines Motorrads im Profil zu verankern, um all die Assoziationen – Kraft und Geschwindigkeit, das Röhren des Motors, das Gefühl des Fahrtwinds im Gesicht – auf das digitale Ich zu übertragen. Wenn das Produkt nur der Mediator zwischen dem Konsumenten und seinem Traum ist, könnte das Internet nicht dazu führen, dass dieser Mittler entlassen wird? Ersetzt Kommunikation den Konsum? Und emanzipiert uns das von den Herstellern?

Das Gegenteil scheint wahrscheinlicher. Es wird schwieriger zu unterscheiden, was die Henne und was das Ei ist, ob zuerst ein Unternehmen etwas verkaufen wollte (das Bio-Produkt) oder die Gesellschaft etwas verändern wollte (nachhaltiger leben). Durch die Wundermaschinen Google und Facebook werden unsere Wünsche für Unternehmen noch transparenter. Sie müssen nicht mehr warten, bis sich ein Rumoren in Massendemonstrationen gegen das Waldsterben manifestiert. Sie können das Beben spüren, bevor es wütet, können mit ihren Messinstrumenten die Spannung spontaner Gedankenäußerungen in Sozialen Netzwerken oder von Suchanfragen messen.

Unternehmen entwickeln nicht länger Strategien zum Verkauf von bestehenden Produkten. Sie binden ihre zukünftigen Abnehmer in die Entwicklung mit ein. Der „Prosument“ ist die Zukunft, der mitproduzieren darf, was er kauft. Das Gefühl, eine Auswahl zwischen verschiedenen Produkten zu treffen, wird immer stärker zur Illusion. Cookies sorgen dafür, dass die Onlineshops, die wir besuchen, uns erkennen und uns nur das anzeigen, was unseren Bedürfnissen entspricht. Die Möglichkeit, mit Hilfe des Konsums die Welt zu retten, schwindet.

Nun kann man argumentieren, dass es schon immer eine Illusion war, dass wir beim Kaufen eine „rationale“ Entscheidung treffen. Dennoch wird durch die Verschränkung von Ich und Produkt im ideologischen Konsum einerseits und in den sozialen Netzwerken andererseits der Teil der Person, der deutlich abtrennbar ist vom Konsumenten, immer kleiner. Unsere Lebensweise im Netz bewirkt, dass wir vom Konsum durchdrungen werden, dass es schwieriger wird, ein von Statussymbolen unabhängiges Ich zu sein.

Die Schriftstellerin Zadie Smith beschreibt das so: „Wenn ein Mensch auf einer Webseite wie Facebook eine Ansammlung von Daten wird, wird er oder sie reduziert. Alles schrumpft. Der individuelle Charakter. Die Freundschaften. Die Sprache. Die Sensibilität. Auf eine Art ist das eine Erfahrung der Transzendenz: Wir verlieren unsere Körper, unsere unaufgeräumten Gefühle, unsere Bedürfnisse, unsere Ängste. (…) Unsere nackten vernetzten Ichs sehen nicht freier aus. Sie sehen aus wie das Eigentum anderer."

Digitale Produkte kann man nicht in die Garage stellen, man kann sie nicht ausziehen, sie nicht auf den Sperrmüll werfen. Das Netz vergisst nicht. Und Facebook schon gar nicht. Die Existenz jenseits jener Fassade virtueller Statussymbole verblasst.

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