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Meinung: Etatisten im Finale

Schluss mit Überhöhung: Merkel kann von Klinsmann nichts lernen Von Alexander Gauland

Wie gut, dass es vorbei ist, und wir nicht mehr die feuilletonistischen Auslassungen über das „runde Leder“ und die Politik lesen müssen. Denn was man in den letzten Tagen und Wochen an publizistischen Vergleichen zwischen Klinsmann und Merkel, zwischen Reformagenda und Reformfußball ertragen musste, beginnt die Leidensfähigkeit zu übersteigen.

Gut, Schwarz-Rot-Gold wird unverkrampft gezeigt und getragen, das ist neu in Deutschland und bestimmt nicht schlecht. Doch alle daran geknüpften Betrachtungen über eine neue deutsche Identität, die sich in einem neuen Nationalgefühl ausdrückt, sind eher töricht, da sie Fußball mit Geschichte verwechseln. Ein nachhaltiges Gefühl der Zusammengehörigkeit erwächst aus gemeinsamen Wurzeln, aus historischen Erfahrungen, die noch präsent sind in der Erinnerung der Nation. Daran fehlt es in Deutschland und wird es auch wieder fehlen, wenn die Euphorie über die Klinsmann- Truppe vorbei ist. Wenn eine gewonnene Weltmeisterschaft zum Paradigmenwechsel reichen würde, hätte Bern 1954 die Entnationalisierung durch die 68er verhindern müssen. Doch nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, das Erbe von Bern wurde 1968 ausgelöscht und die angeblich versöhnte Nation durch neue Fegefeuer getrieben.

Aber auch die übrigen Vergleiche hinken. Eine Fußballmannschaft ist kein Staat und Angela Merkel kann von Klinsmann nichts lernen, so wenig wie von den Henkel und Hundt dieser Gesellschaft. Wenn sich Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft als neoliberales Gedankengut in den deutschen Siegen auszahlen, dann muss nur noch jemand plausibel begründen, warum ausgerechnet die etatistischen Reformverweigerer Frankreich, Deutschland und Italien unter den letzten vier sind. Vielleicht erklären wir den kontinentaleuropäischen Etatismus jetzt zum Sieger über den neoliberalen Individualisierungsfußball. Haben wir schon vergessen, dass die größten sportlichen Erfolge meist von denen eingeheimst wurden, deren maroder Sozialismus wenige Jahre später in die Brüche ging.

Nein, Politik und Sport haben nichts miteinander zu tun und von den Erfolgen der einen können die Protagonisten des anderen nichts lernen. Weder das Inklusionsgerede noch die Leistungsrhetorik tragen über die tiefe Spaltung hinweg, die darin zum Ausdruck kommt, dass die Bewunderer des deutschen Powerfußballs in allen gesellschaftlichen und sozialen Fragen eher auf den Kompromiss, auf mehr Sicherheit als Freiheit, auf die große Koalition statt den neoliberalen Aufbruch setzen.

Wie die schwarz-rot-goldene Aufwallung nicht halten wird, was sie verspricht, solange die deutsche Geschichte unter antiwestlichem und antiaufklärerischem Generalverdacht steht, so lässt sich aus den überraschenden deutschen Erfolgen nicht auf eine wirtschaftsliberale Siegstrategie schließen. Deshalb sollten wir uns über die Siege unserer Mannschaft freuen und alle sphärenübergreifenden Vergleiche meiden, die uns weismachen wollen, von Klinsmann lernen, hieße auch für Merkel und Müntefering siegen lernen.

Der Autor war Staatssekretär in Hessen und ist ehemaliger Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“.

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