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Eurokrise: EU: Eine Reise ohne Ziel

Nur eine kleine Vertragsänderung will Angela Merkel in Brüssel erreichen. Zwei Sätze zum Euro-Rettungsschirm ab 2013 – das war es schon fast.

Einen großen Wurf fordert die Kanzlerin ausdrücklich nicht, wenn sie heute mit den anderen 26 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zusammenkommt. Bloß nicht zu viel ändern, scheint sie warnen zu wollen. Und doch hat sie in ihrer nur 20-minütigen europapolitischen Regierungserklärung so ungewohnt große Worte bemüht, dass eine Nachrichtenagentur gar einen „flammenden Appell“ erkannt haben wollte.

Die wohlklingenden Worte sollten zeigen, dass Madame Non im Herzen doch eine Europäerin ist. Vom Vermächtnis der Kriegsgeneration und der Freiheitsidee der europäischen Einigung sprach sie; davon, dass niemand in Europa alleingelassen werde. Doch zwischen diesen Worten und ihrem politischen Handeln liegen Welten. Nicht nur hat sie wiederholt Unsicherheit an den Finanzmärkten geschürt und so die Schuldenkrise verteuert, sondern sie versäumt es, eine europäische Perspektive zu entwickeln und zu vertreten. Die Kanzlerin macht sich auf die Reise, ohne das Ziel zu nennen.

Denn darum geht es jetzt. Die Devisenhändler und Finanzmakler erzwingen eine Antwort auf die Frage, was Europa sein will. Sie wetten gegen Irland oder Portugal, aber vor allem prüfen sie dabei eine Idee. Die aktuelle Lage muss ihre Zweifel bestärken. Es fehlt an Führungsfiguren, und die Institutionen der Gemeinschaft sind, mit Ausnahme der Europäischen Zentralbank, schwach. Die Europäische Kommission ist ohne gemeinsame Haushaltspolitik weit davon entfernt, den Kontinent zu regieren, und das Europarlament hat nahezu keine Macht. Ist das schon das Europa, das Merkel meint?

Vielleicht glaubt sie, dass sich das alles wieder mal irgendwie zurechtmendelt, oder sie meint, dem Wähler nicht mit mehr Europa kommen zu können – aber beides wäre fatal. Und wer die Sache der europäischen Einigung vertritt, darf auch nicht nur mit historischen Bezügen argumentieren. Welcher junge Mensch sollte mit dem Schreckenszenario des Krieges zu überzeugen sein, wenn die Mauer schon vor mehr als zwei Jahrzehnten fiel?

Verwässerte Stabilitätskriterien. Der Euro kriselt.
Verwässerte Stabilitätskriterien. Der Euro kriselt.

© dpa

Die Begründung, die Legitimation kann nur in den Chancen liegen, die Europa bietet. „Der Euro ist unser gemeinsames Schicksal, und Europa ist unsere gemeinsame Zukunft“, sagt Merkel zwar, aber was das heißen soll, lässt sie völlig offen. So wird die Verheißung zur Drohung – der Euro, unser Schicksal! Kein Wunder, dass sich die meisten Deutschen die D-Mark zurückwünschen.

Es gibt Politiker, die klarer formulieren, was Europa sein soll, auch in Merkels Umfeld. Finanzminister Wolfgang Schäuble etwa hält es auf längere Sicht ausdrücklich für geboten, Haushaltssouveränität abzugeben. Und Merkels früherer Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier, jetzt Oppositionsführer, fordert, das Europa der Nationalstaaten zu überwinden.

Um welche Dimension es geht – dafür reicht Helmut Schmidt ein Satz. „Es ist ein großes Wort“, sagt der Altkanzler bei Sandra Maischberger, „aber tatsächlich steht in diesem Jahrhundert die Selbstbehauptung der europäischen Zivilisation auf dem Spiel.“ Jahrhundert, Zivilisation – das ist nicht zu hoch gegriffen. In einer globalisierten Weltwirtschaft, in der die neuen Großmächte China und Indien heißen, hat Kleinstaaterei keinen Platz. Anders herum heißt das: Wenn Europa nicht bald die eigene politische Einheit beherzt vorantreibt, dann kann sich Merkel auch ihre kleine Vertragsänderung sparen.

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