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EU-Gipfel: Merkel: Durchmarsch unter Vorbehalt

Das Spiel ist noch lange nicht gewonnen: Merkel hat das Richtige für Europa getan – jetzt muss sie um Partner werben.

Von Antje Sirleschtov

Wir zahlen für eure Krise. So bitter diese Erkenntnis aufstößt, so real ist sie noch immer. Und man muss sie wachhalten. Obwohl oder vielleicht gerade weil das nun wieder einsetzende Brummen der Fließbänder die Erinnerung verblassen lässt: Die Finanzkrise hat Europa in den Abgrund schauen lassen. Bankenpleiten, Privatpleiten, Staatspleiten. Der Euro in ernster Gefahr. Das alles ist keine zehn Monate her. Geblieben ist das schale Gefühl, dass gierige Banker und verantwortungslose Politiker eine giftige Suppe einrührten, die andere seither auszulöffeln haben.

Bewertet man vor diesem Hintergrund die Ergebnisse des Brüsseler EU-Gipfels, dann war das Treffen der Staatschefs ein Erfolg. Ein Erfolg des Mutes über die Kapitulation vor den herrschenden Zuständen. Denn kapituliert vor den jahrzehntelang eingeschliffenen Ritualen haben all jene, die im Frühjahr höhnten. Und zwar über eine deutsche Kanzlerin, die einem europäischen Rettungsschirm für Pleiteländer wie Griechenland nur dann zustimmen wollte, wenn sichergestellt wird, dass staatlicher Finanzschlendrian und private Verantwortungslosigkeit in Zukunft nicht einfach weitergehen. Und es beim nächsten Mal wieder heißt: Der Euro ist in Gefahr, alle Mann an die Riemen. Angela Merkel hat im Frühjahr von einer Insolvenzordnung für Staaten gesprochen und Änderungen im europäischen Vertrag gefordert. Nie und nimmer würde das fragile europäische Gebilde einen solch weitreichenden Prozess anstoßen, hielt man ihr entgegen. Jetzt hat sich Merkel durchgesetzt. Es wird einen Krisenmechanismus geben. Er wird im EU-Vertrag verankert. Und was noch wichtiger ist: Diejenigen, die die Krise eingerührt haben, die privaten Gläubiger nämlich, sie werden mit zur Kasse gebeten. Chapeau, Madame. Das nennt man am Pokertisch einen Durchmarsch.

Doch das Spiel ist noch lange nicht gewonnen. Eine Stärkung des Stabilitätspaktes mit wirkungsvollen Sanktionen für Defizitsünder musste Merkel für ihr größeres Ziel in Deauville opfern. Und auch der Beweis dafür, dass die Mechanismen, die der EU-Rat nun im Vertrag verankern will, tatsächlich so belastbar sein werden, dass sie eine nächste Krise eindämmen können, muss erst noch in den Verhandlungen erbracht werden. Dazu wird Merkel in der EU Partner brauchen. Partner, denen sie in den letzten Wochen die kalte Schulter gezeigt hat. Ja, wenn diese Partner zu Hause nicht die Kraft zur Schuldenbegrenzung aufbringen wollen, dann muss man ihnen auch mal sehr deutlich sagen, dass europäische Solidarität keine Einbahnstraße sein darf. Ihnen dafür allerdings mit dem Entzug der Stimmrechte zu drohen, ist kaltschnäuzig. Und dürfte nicht ohne Bumerang bleiben. Genauso wenig wie Merkels doppeltes Spiel mit dem französischen Staatschef und Guido Westerwelle, denen sie – erst in Deauville und dann im Bundestag – Zusagen machte, die einander widersprechen. Sie will verhindern, dass Europa auch für die nächste Krise zahlt. Das wird man ihr danken. Wenn sie es schafft.

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