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EU-Ratspräsidentschaft: Einfach komplex

Die Europäische Union wird ein vielstimmiger Chor bleiben – auch mit dem Lissabon-Vertrag.

W ahrscheinlich ist die letzte Wegstrecke, die die Europäische Union bis zur nächsten Station namens „Lissabon“ noch zurücklegen muss, nicht mehr sehr lang. Noch steht das Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts über den Lissabon-Vertrag aus, und danach könnte auch der Präsident in der Prager Burg den Text unterzeichnen – vorausgesetzt, Vaclav Klaus lässt sich von Europas Staats- und Regierungschefs beim Brüsseler EU-Gipfel mit einer Zusage zur Fortgeltung der Benes-Dekrete besänftigen. Und dann bekäme die EU endlich, wie im Lissabon-Vertrag vorgesehen, einfachere Entscheidungsstrukturen, mehr Demokratie und Führungspersönlichkeiten, die ihr in aller Welt ein Gesicht geben.

Doch ganz ohne Reibungen wird es auch in der schönen neuen Lissabon-Welt der EU nicht abgehen. Das zeigt der wochenlange Streit um die Frage, ob denn der ehemalige britische Premier Tony Blair ein geeigneter Kandidat für das Amt des ständigen EU-Ratspräsidenten sei. Der Streit scheint entschieden – beim Brüsseler Gipfel mochte sich offenbar kaum jemand mehr für den ehemaligen Heilsbringer der europäischen Sozialdemokratie in die Bresche werfen. Damit dürfte der Ex-Premier aus dem Rennen um die künftigen europäischen Spitzenjobs sein.

Während nun das Rätselraten weitergeht, ob vielleicht der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende EU-Ratspräsident wird oder doch Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker und der britische Chefdiplomat David Miliband „EU-Außenminister“, lohnt sich aber noch einmal ein Blick auf den bisherigen Verlauf des Postengerangels. Blair galt in den Augen vieler Europäer vor allem deshalb als kein geeigneter Kandidat, weil er 2003 am Feldzug gegen Saddam Hussein teilnahm. Stattdessen erkoren viele Blair- Gegner den Luxemburger Juncker zu ihrem Wunschkandidaten: weltpolitisch nicht zu vorbelastet, dafür ein profunder Kenner des Brüsseler Räderwerks.

Hinter der Diskussion, ob der Irakkrieger Blair oder der überzeugte Europäer Juncker der richtige Mann für den Posten des EU- Ratspräsidenten sei, verbarg sich aber auch eine profunde Befürchtung kleiner EU-Staaten: Sie hatten die Sorge, dass die sorgsam gewahrte Machtbalance zwischen „Kleinen“ und „Großen“ in der EU zerstört würde, wenn Blair an der Spitze der Gemeinschaft alles überstrahlen würde.

So lautet die Quintessenz aus dem Hickhack um das künftige EU-Führungspersonal: Mit dem Lissabon-Vertrag wird die EU zwar einfacher funktionieren. Aber sie wird auch immer der vielstimmige Chor bleiben, an den sich die Europäer gewöhnt haben. Und weil gerade die Außenpolitik zur Domäne des Nationalstaats gehört, wird es auch eine europäische Diplomatie aus einem Guss, wie sie sich viele mit dem Lissabon-Vertrag erhoffen, nicht geben. „Lissabon“, die vorerst letzte Etappe bei der EU-Reform, zeigt eben auch die Grenzen europäischer Einigung auf.

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