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David Cameron hat für Europa eine Richtungsentscheidung gefällt.

© REUTERS/Ben Pruchnie

EU und Großbritannien: Britisches Europa

Der No-Brexit-Deal steht für mehr Markt und weniger Union. Das wollen andere auch. Ein Kommentar

Als doppelter Treppenwitz der Geschichte darf  gelten, dass ausgerechnet ein Brite als prominentester Vertreter Vereinigter Staaten von Europa in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Auch der Londoner Premier Winston Churchill sah seine Insel im Jahr 1946 nicht als Teil einer so eng verwobenen Union - und an dieser Gefühlslage hat sich bis heute wenig geändert. Und doch konnte Churchill im Gegensatz zum jetzigen Bewohner von 10, Downing Street sehr wohl die Strahlkraft von Versöhnung und Vereinigung der Völker ermessen, die sich eben noch abgeschlachtet hatten.

Die so verschiedenen europäischen Lesarten beherrschen auch die aktuellen Verhandlungen in Brüssel, die beim nächsten EU-Gipfel in einen Deal münden sollen, der es Cameron ermöglicht, vor dem anstehenden Referendum überzeugend für den Verbleib Großbritanniens  in der Europäischen Union zu werben. Der nun vorgelegte Vorschlag von EU-Ratspräsident Donald Tusk versucht den Spagat: Londons Reformvorschläge, von gnadenlosem Pragmatismus gekennzeichnet, sollen berücksichtigt werden, ohne die Errungenschaften des Einigungswerks zu beschädigen.

Es scheint ein balanciertes Paket zu sein

Auf dem Papier ist ihm diese Balance ordentlich gelungen. Die Rechte der nationalen Parlamente sollen gestärkt, aber nicht zu einem Veto ausgebaut werden. Bestimmte Sozialleistungen für EU-Ausländer dürften tatsächlich eingeschränkt werden - aber nur wenn die Brüsseler Kommission offiziell außergewöhnliche Umstände beziehungsweise Einwandererzahlen attestiert. Die britische Regierung müsste zwar weiter Kindergeld an deren Nachwuchs im Heimatland zahlen, könnte es jedoch an niedrigere Lebenshaltungskosten anpassen. Das ist nicht illegitim, in einigen Punkten sogar nachvollziehbar.

Das politische Signal ist ein anderes:  Dass  Großbritannien nicht länger auf eine "immer engere Union" verpflichtet und die Gemeinschaft  mehrerer Währungen ausgerufen wird, markiert den Übergang vom Europa verschiedener Geschwindigkeiten, das es mit Eurozone oder Schengenraum längst gibt, zum Europa der Stoppschilder. Der Kreis derer wird kleiner, die einer alten Metapher zufolge auf dem Fahrrad der europäischen Integration strampeln, damit es nicht umfällt. Bis hierher und nicht weiter, EU! Die anderen Regierungschefs dürften Camerons Credo akzeptieren, da sie die außenpolitische und wirtschaftliche Kraft des Königreichs nicht missen mögen.

Die Wahrscheinlichkeit wird größer, dass es Cameron geht wie dem Zauberlehrling: Er hat mit seinem Gerede und der Ankündigung des Referendums über einen Verbleib des UK in der EU Geister gerufen, die er trotz aller Mini-Erfolge aus seiner Sicht kaum wird stoppen können.

schreibt NutzerIn civis42

Die EU unterwirft sich Camerons erpressisch-depektiertlichem Ton

Die negativen Folgen einer solchen Entscheidung liegen auf der Hand. Nicht, dass es unredlich von Cameron gewesen wäre, harte Reformen zu fordern. Das Problem ist die Einseitigkeit, weil andere Mitglieder des  Staatenklubs keine konkreten Ideen dazu entwickelt haben, wie er die Zukunft meistern kann. Nun müssen sie auf Camerons erpresserisch-despektierlichen Ton eingehen, der das Bild vom gefräßigen Monster Brüssel nährt, dem es unter Gefahr für Leib und Leben etwas abzutrotzen gilt. Entgegengesetzt haben sie dem wenig.    

Jenen, die mehr nationale Lösungen für internationale Probleme propagieren, gibt dieser No-Brexit-Deal Auftrieb - ganz unabhängig davon, ob ihn die britischen Wähler am Ende gutheißen oder am Ende etwa wegen der Flüchtlingskrise doch Nein zur Union sagen. Wer gesehen hat, dass es möglich ist, europäisch auf die Bremse zu treten, wird seinen Kampf noch verstärken, dass der Rückwärtsgang eingelegt wird.

Es wird die Gemeinschaft negativ beeinflussen

Nicht zuletzt verändert er die Gemeinschaft selbst. Sie wird  noch mehr auf Wettbewerb, Freihandel und den Binnenmarkt setzen, weniger von politischer oder gar sozialer Union halten und Entbürokratisierung gern mal mit dem Abbau von Arbeits- oder Umweltstandards verwechseln.

Die Richtungsentscheidung für ein britischeres Europa scheint gefallen. Von Churchills Vereinigten Staaten entfernt es sich damit noch ein Stückchen weiter.

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