zum Hauptinhalt

Meinung: Euro: Europa in der Tasche

Die einen standen schon um Mitternacht vor ihrer Bank, die anderen nahmen es abgeklärt. Ein ausgesprochenes Schnäppchen war das sogenannte Starter-Kit ja auch nicht, denn der Wert der Euromünzen in der Plastiktüte entsprach exakt den zwanzig Mark, die man dafür hinlegen musste.

Die einen standen schon um Mitternacht vor ihrer Bank, die anderen nahmen es abgeklärt. Ein ausgesprochenes Schnäppchen war das sogenannte Starter-Kit ja auch nicht, denn der Wert der Euromünzen in der Plastiktüte entsprach exakt den zwanzig Mark, die man dafür hinlegen musste. Kein Rabatt, schade. Aber neugierig, neugierig waren die meisten Menschen trotzdem auf das neue Geld. Den Euro erstmals in der Hand zu haben, das war für jeden doch schon ein bisschen Abschied von der Mark.

Aber, ganz unnostalgisch: Die Einführung einer europäischen Gemeinschaftswährung in zwölf Ländern auf einen Schlag ist ein gewaltiger Fortschritt im Einigungsprozess Europas. Der Euro, über dessen Geburtsfehler auch unser staatstragener Kanzler gespottet hat, als er noch nicht Kanzler war, sondern ein vorlauter Ministerpräsident Niedersachsens, wird die Menschen enger zusammenführen und Europa Auftrieb geben, auch wenn die Nörgler das nicht hören wollen.

Zum Thema OnlineSpezial: Der Euro kommt Euro-Countdown: Die Serie im Tagesspiegel Euro-Memory: Passende Euro-Pärchen finden Ted: Der Euro - mehr Vor- oder mehr Nachteile? Zweckoptimismus? Keine Spur. Wieviel lästiges Schlangestehen, wieviel Gebühren- und Beutelschneiderei, wieviel undurchsichtige Preismanipulationen in Zukunft wegfallen, kann nur ermessen, wer alt genug ist, um sich einmal an Reisen in Europa vor 30 oder 35 Jahren zu erinnern. Wie das war? Unangenehme Ausweiskontrollen an jeder Grenze. Schnüffelnde Zollbeamte, die den heimkehrenden Frankreich- und Italienurlaubern die Weinflaschen im Kofferraum nachzählten. Zwei Liter pro Person waren erlaubt! Und dann die Schwierigkeit, im Ausland überhaupt an Bargeld zu kommen in einer Zeit, in der es noch keine Scheckkarten gab, in der Kreditkarten völlig unbekannt waren und das europaweit nutzbare Postsparbuch als gewaltiger Fortschritt empfunden wurde - aber bitte nicht mehr als 300 DM pro Woche abheben, versteht sich!

All das klingt wie eine Horrorschilderung aus dem fernen Land Absurdistan und ist doch erst wenige Jahrzehnte her. Und nun kommt, neben all den anderen dank Europa erworbenen Freizügigkeiten, auch noch das gleiche Geld. Dahinter steht ja viel mehr als die an sich schon aufregende Tatsache, dass man künftig mit dem gleichen Geldstück in Berlin eine Currywurst und an der portugiesischen Atlantikküste frische Muscheln zahlen kann. Viel wichtiger: Die europäischen Grundfreiheiten außerhalb des uns allen schon selbstverständlichen Grundrechtekatalogs, die Freiheiten des Personen-, Waren und Geldverkehrs, sind erst mit der einheitlichen Währung problemlos nutzbar.

Und was das für eine Währung ist. Stabiler als die Mark, hat man uns versprochen. Schaun wir mal. Aber dass man außerhalb der Europäischen Union in so vielen Ländern damit einkaufen kann, weil der Euro dort als offizielles Zahlungsmittel gilt - wer hätte an so etwas gedacht? Kosovo und Montenegro aus eigenem Willen, ehemalige französische Kolonien in Mittelamerika und Afrika, mehr als 20 Länder haben ihre Währungen an den Euro gebunden - es ist eine beinahe globale Währung geworden, so kosmopolitisch und, durch die unterschiedlich gestalteten Rückseiten der Münzen, trotzdem individuell, wie die Europäer selbst es auch sind. Denn an ihrer Verschiedenheit ändert der Euro ja nichts.

Das sei ja gerade das Problem, sagen uns die Euro-Kritiker unverdrossen. Mit der Einführung der Gemeinschaftswährung sei der zweite Schritt vor dem ersten gemacht worden. Erst hätte man die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Mitgliedsländer in Gleichtakt bringen müssen, danach den Euro einführen. Helmut Kohl und François Mitterrand, Pragmatiker und Visionäre, die sie beide gleichermaßen waren, hatten wohl erkannt, dass man auf diesen ersten Schritt wohl noch lange würde warten müssen und deshalb auf den zweiten gedrängt. Vielleicht waren sie übereilt, vielleicht waren sie auch weise.

Jetzt ist es also da, das neue Geld. Die blankpolierten Münzen fühlen sich solide an, wirklich noch besser als die gute alte Mark. Nun haben die Italiener eine Währung, die so stabil ist wie die der Deutschen. Wer hätte das gedacht! Jetzt machen wir uns aber bitte gleich an den nächsten Schritt. Jetzt wollen wir dafür ein Wetter wie in Italien!

Zur Startseite