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Euro-Krise: Die Zukunft des Euro hängt vom Volk ab

Die FDP löst sich auf, Griechenland führt die Drachme wieder ein und Deutschland stimmt über ein neues Grundgesetz ab: Szenarien für das nächste Jahr in der Europäischen Union und was es für Alternativen gibt.

Es ist der 12. März 2012. Ein historischer Tag. In einer Nacht- und Nebelaktion hat der griechische Regierungschef Filippos Petsalnikos am Wochenende zuvor die Wiedereinführung der Drachme verfügt. Jetzt, es ist Montag gegen Mittag, erläutert er vor der Weltpresse in Athen seinen Schritt. „Uns blieb keine andere Wahl“, sagt Petsalnikos zerknirscht.

Während Petsalnikos seinen Landsleuten erklärt, dass die Banken für die nächsten drei Tage geschlossen bleiben, stehen dessen europäische Amtskollegen immer noch unter Schock. Besonders Italiens Ministerpräsident Mario Monti muss nun fürchten, dass sein Land als nächstes den Euro verlassen muss, weil der Rettungsschirm EFSF einfach nicht groß genug ist, um das Land zu beschützen – eine düstere Vorahnung, die sich zwei Monate später bewahrheiten wird.

Dabei hatte Monti den Griechen beim letzten Gipfel der Euro-Zone noch eindringlich beschworen, die Euro-Zone nicht zu verlassen. „We are family“, hatte der nüchterne Italiener, ganz gegen seine Art, in Gegenwart des Griechen die bekannte Titelzeile aus dem Evergreen der „Sister Sledge“ intoniert – eine kleine Erinnerung, dass ein Austritt aus der Euro-Zone rechtlich gar nicht möglich ist.

Aber am Ende hatte sich Petsalnikos über alle Bedenken hinweggesetzt. Schon vor zwei Monaten, als er das Amt von seinem an der Obstruktionspolitik der „Nea Dimokratia“ gescheiterten Vorgänger Lucas Papademos übernommen hatte, war ihm klar gewesen, dass die Zeiten noch schwerer werden würden. Als Erstes hatte er einräumen müssen, dass auch das letzte 130-Milliarden-Hilfspaket der Europäer nicht ausreichen würde. In Deutschland hatte das zu erheblichen Verwerfungen geführt. Die FDP war am Streit über den Euro zerbrochen. Die Liberalen hatten sich in zwei Teile gespalten – die altbekannte FDP und eine Gruppe namens „Wahre Europäer“.

Viel schlimmer waren für Petsalnikos aber die Unruhen auf den Straßen von Athen, die das Land inzwischen komplett lahmgelegt hatten. So hatte er sich an jenem denkwürdigen zweiten Märzwochenende entschlossen, den Sparkurs zu beenden und das Heil außerhalb der Euro-Zone zu suchen. „Die Straße hat gesiegt“, lautete der Kommentar der Zeitung „Eleftherotypia“.

Es ist der 12. März 2012. Ein historischer Tag. Stolz verkündet Helle Thorning-Schmidt in Kopenhagen, dass sich ein EU-Konvent unter dänischer Ratspräsidentschaft überraschend schnell auf eine Änderung des EU-Vertrages von Lissabon geeinigt hat. Die dänische Ministerpräsidentin stellt der internationalen Presse die Kompromissformel vor, auf die sich der Konvent zuvor in einer letzten Sitzung am Wochenende verständigt hatte. Künftig sollen einzelne Mitgliedstaaten der Euro-Zone die Möglichkeit haben, Defizitsünder vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen.

Die Dänin Thorning-Schmidt macht während der Pressekonferenz keinen Hehl daraus, dass sie einen wesentlichen Anteil am Gelingen des Projektes hatte. Eigentlich könnte es ihr egal sein, ob nun künftig striktere Regeln in der Euro-Zone gelten oder nicht. Denn ihr Land gehört nicht zum Euro. Aber weil auch die dänische Krone an die Gemeinschaftswährung gekoppelt ist, war Thorning-Schmidt schon vor Weihnachten überraschend auf den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel eingeschwenkt. Das kleine Dänemark sperrte sich nun nicht mehr gegen eine Änderung des EU-Vertrags – und das war ein Signal an alle anderen gewesen, die dem Vorschlag aus Berlin zunächst skeptisch gegenüberstanden: vor allem die Briten, die das ganze Vorhaben hätten zu Fall bringen können, auch wenn sie außerhalb der Euro-Zone stehen.

An diesem 12. März wird auch bekannt, dass noch vor Ende des Monats ein weiterer EU-Konvent einberufen wird. Unter den 17 Euro-Staaten zeichnet sich schon jetzt ein breiter Konsens darüber ab, was dort beschlossen werden soll: Aus der Euro-Zone soll eine echte Fiskalunion werden, das Europaparlament wird weiter gestärkt, dafür muss der Bundestag Haushaltsrechte abgeben. In Deutschland, auch dies wird bereits deutlich, wird die Bevölkerung am Ende über ein neues Grundgesetz abstimmen.

Vermutlich wäre die Diskussion in den Wochen vor diesem historischen 12. März sehr viel zäher verlaufen, wenn es wieder neue Schreckensnachrichten aus Griechenland gegeben hätte. Doch zur allgemeinen Überraschung hat sich das Blatt in Hellas mit der Amtsübernahme von Lucas Papademos gewendet. Es ist ihm sogar gelungen, die radikale Gewerkschaft Pame auf seinen Sparkurs einzuschwören. Die Stimmung hellte sich auf, und auch anti-deutsche Töne waren kaum noch zu hören. Die Athener Zeitung „To Vima“ hatte sogar getitelt: „Efcharisto, Angela“ („Danke, Angela“).

Es ist zu vermuten, dass man an der Börse viel Geld verdienen könnte, wenn man schon heute wüsste, wie es weitergeht im Euro-Drama. Es ist auch zu vermuten, dass keines der beiden beschriebenen Szenarien in dieser Form eintreten wird. Warum also diese beiden Fiktionen? Sie sollen erhellen, was in den nächsten Wochen und Monaten in der Euro-Krise auf dem Spiel steht. Es geht darum, ob die Euro-Zone auseinanderfällt oder nicht.

Nun muss man noch nicht einmal ein Europa-Romantiker sein, um sich für den Bestand des Euro einzusetzen. Zahlreiche Berechnungen legen nahe, dass für Deutschland ein Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung wesentlich teurer wäre als die Griechenland-Rettung. Nun mag man darüber räsonieren, wie dies FDP-Chef Philipp Rösler jüngst getan hat, ob es tatsächlich so klug war, dass Helmut Kohl, François Mitterrand und viele andere Staatenlenker Europas vor knapp zwei Jahrzehnten bei ihren Einigungsbemühungen ausgerechnet mit der Währung anfingen, „dem schwierigsten Feld“. Aber das ist eine eher akademische Überlegung, die wenig zur Krisenbewältigung beiträgt. Der Euro ist da. Jetzt gilt es, seine offenkundigen Konstruktionsfehler zu beheben.

Warum Großbritannien doch die EU und die Euro-Zone braucht, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Kommen wir noch einmal auf die beiden Szenarien zurück, nach denen der Euro entweder zerbricht oder endlich sein politisches Gegenstück in Form einer EU-Regierung erhält. Auffällig ist dabei – und hier muss man sich keineswegs ins Reich der Fiktion begeben –, dass diese europäischen Schicksalswochen auch die Stunde der Demos sind. Vom Volk, siehe Griechenland, hängt es ab, wie es mit dem Euro weitergeht.

Auch wenn sich die Feststellung, dass der Euro mit der Zustimmung der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten steht oder fällt, erst einmal wie eine Binsenweisheit anhört, so hat sich allerdings die Ausgangslage für die Regierenden und für die Regierten seit dem Beginn der Schuldenkrise drastisch verändert. Griechenland und Portugal, wo die Bevölkerung ohnehin schon durch die Sparprogramme gebeutelt ist, stecken tief in der Rezession, und auch Spanien und Italien sind vom Abschwung bedroht. Es sind also denkbar schlechte ökonomische Vorbedingungen, unter denen die 17 Euro-Länder sich unter Merkels Führung an ihr bislang ehrgeizigstes Projekt namens „EU-Wirtschaftsregierung“ machen.

Trotz der politischen Risiken, die sich aus der aufgewühlten Stimmung in vielen Euro-Ländern ergeben, geht Merkel nun also ihr Projekt einer EU-Vertragsänderung zum Zweck einer härteren Bestrafung von Defizitsündern an – ohne zu wissen, ob sie für diesen ersten geplanten Reformschritt auf europäischer Ebene eine Mehrheit findet. Sie tut das vor allem mit Blick auf die „Märkte“. Nun kann man beklagen, dass viele Umwälzungen in den letzten Wochen – siehe Griechenland, siehe Italien – auf Druck der „Märkte“ zustande gekommen sind. Aber ist es im Ergebnis schlecht, dass Italiens Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi angesichts der steigenden Anleihezinsen nichts anderes übrig blieb, als seinen Hut zu nehmen?

Auch der zweite Schritt, über den in Berlin schon nachgedacht wird und der die große Überschrift „Politische Union“ trägt, soll zunächst einmal ein Signal an die Finanz- und Außenwelt sein, dass die Europäer alles tun, um ihre gemeinsame Währung zu retten – selbst wenn dies um den Preis des Souveränitätsverzichts der Mitgliedstaaten geschieht. Damit das Fernziel einer „Politischen Union“ erreicht werden kann, ohne dass einige Staaten aus dem Kreis der 17 Euro-Staaten auf dem Weg dorthin verloren gehen, müssen aber zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss der „Demos“ das letzte Wort haben, auch in Deutschland. Und zweitens müssen die Krisenstaaten im Süden der Euro-Zone ein Wirtschaftsmodell finden, das ihnen zu mehr Exporten verhilft.

Und natürlich muss auch die Euro-Zone weiter all jenen offenstehen, die ihr beitreten wollen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber, dass Länder wie Großbritannien einen engeren Zusammenschluss der Euro-Zone nicht sabotieren dürfen. Dass diese Gefahr besteht, konnte auch hinter dem Austausch der Freundlichkeiten bei dem Besuch des britischen Premierministers David Cameron in Berlin nicht verborgen bleiben.

Auch Großbritannien wird von der Wirtschaftskrise hart getroffen. Viele Briten machen dafür die Euro-Krise verantwortlich – mit der Folge, dass die EU-Skeptiker immer lauter werden. Auch David Cameron zählt sich inzwischen zu ihnen. Damit scheint sich aber auch bei den britischen Konservativen insgesamt eine historische Kehrtwende zu vollziehen, denn bislang war es den Tories immer gelungen, ihr Verhältnis zur EU in der Schwebe zu halten.

Für Cameron hingegen hat sich die Frage, ob London eines Tages nicht doch den Euro einführen könnte, längst erledigt. Durch die ständigen Krisennachrichten aus Euro-Land fühlt er sich bestätigt. Aber was ist, wenn es den Ländern der Euro-Zone trotz aller Hindernisse gelingt, einen harten Kern innerhalb der EU zu bilden? Und wenn dort, und nicht mehr in der EU, die Musik spielt? Dann könnte sich auch für Großbritannien die Frage stellen: rein oder raus?

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