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Meinung: Europa auf der Palme

Von Clemens Wergin

Dieses Jahr wird wohl in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem ein renommiertes europäisches Filmfestival versuchte, in den amerikanischen Wahlkampf einzugreifen. Denn da sind sich die meisten Filmkritiker einig: Die Entscheidung der Jury in Cannes, Michael Moores Dokumentarfilm „Fahrenheit 9/11“ die Goldene Palme zu verleihen, hatte vor allem politische, weniger ästhetische Gründe. Jetzt darf man gespannt sein auf die schneidenden Formulierungen der amerikanischen Konservativen, die noch vor Jahresfrist vom „alten Europa“ redeten oder der „Axis of Weasel“, der Achse der Feiglinge; die darauf drangen, in Kantinen und Restaurants „French Fries“ in „Liberty Fries“ umzubenennen und die dann mit stolz geschwellter Brust in den Krieg zogen, um den Irak von einem Diktator zu befreien. Wieder die Franzosen, wird es heißen, die betreiben ihren Antiamerikanismus doch als Volkssport. Dass in der von Quentin Tarantino präsidierten neunköpfigen Jury vier Amerikaner saßen, die „Koalition der Willigen“ also eine Übermacht hatte, wenn man die britische Schauspielerin Tilda Sywinton dazurechnet – geschenkt.

Und doch bleibt ein schaler Beigeschmack zurück. Nicht wegen Michael Moore. Der stellt nur Waffengleichheit her zwischen Linken und Rechten in Amerika. Weil er ein begnadeter Polemiker ist und es wie seine rechten Gegenspieler in Amerikas Medien und Politik mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt. Das Unbehagen rührt eher daher, dass, wenn zwei das Gleiche tun, es doch nicht dasselbe ist. Wenn Moore in Hollywood einen Oscar für „Bowling for Columbine“ bekommt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass es „das andere Amerika“ noch gibt. Wenn Cannes jetzt einen Film krönt, der neben wichtigen aufklärerischen Passagen schlicht die Vorurteile bestätigt, die eine Mehrheit der Europäer gegenüber Bush und seinem Amerika hegt, dann verliert die Botschaft ein wenig von ihrem Glanz. Wer in Europa sagt, dass Bush ein unfähiger Idiot ist, der riskiert damit gar nichts. Wer das Gegenteil behauptete, hätte auf dem Kontinent wahrscheinlich größere Probleme. So haftet der Goldenen Palme ein wenig die moralische Überheblichkeit Europas gegenüber den USA an. Aber dort tun sich ja gerade Stars, Künstler und Intellektuelle zusammen, um Bush den Wahlkampf zu vermasseln. Noch ist es nicht so weit, das Amerikas Gesellschaft auf europäische Entwicklungshilfe in Sachen Demokratie angewiesen wäre.

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