zum Hauptinhalt

Positionen: Knackt Europa!

Für viele Jugendliche liegt europäisches Kulturleben in unerreichbarer Ferne, Identifikation mit und Teilhabe an Europa scheint ihnen unvorstellbar. Das muss sich ändern. Denn weniger junge Europäer zu haben, bedeutet mehr rechtspopulistische Parteien.

Zukunft, das ist immer das noch zu Gestaltende, an dessen Beginn eine Idee steht. Nichts als eine Idee, eine riesige und konstruktive, war auch die Europäische Union, ehe sie Realität wurde. Für die Zukunft der realen EU wird einmal die heutige Jugend zuständig sein. Aber wissen junge Leute zu schätzen, was sie an Europa haben? Die Europäische Union ist Produkt des historisch wohl größten Umgestaltungswillens. Sie entstand nach den Erfahrungen vieler Kriege in Europa, die in zwei Weltkriegen gipfelten.

Das ist die Vergangenheit, keine zwei Generationen her. Heute wachsen Kinder und Jugendliche in Europa auf, für die Schüleraustausch mit anderen Ländern der Union so selbstverständlich ist, wie das Studieren im Ausland mit den EU-Programmen Erasmus und Comenius. Offene Grenzen, Frieden, Rechtsstaat sind für die Jüngeren Selbstverständlichkeiten. Ihnen fehlt das Bewusstsein dafür, dass all dies erst vor Kurzem entstand, dass die EU ein fragiles Projekt ist, bedroht von Regierungsegoismen.

Großartige Ausnahmen machen das besonders deutlich. Als das European Cultural Parliament, ein Zusammenschluss Kulturschaffender aus ganz Europa, gemeinsam mit dem Berliner Institute for Cultural Diplomacy unlängst Zwanzig- bis Dreißigjährige aus ganz Europa zur Teilnahme an einer Tagung in Berlin aufrief, kamen drei Dutzend Hochqualifizierte aus aller Herren Länder auf eigene Kosten angereist. Um die Rolle der Kultur für das Projekt der europäischen Einigung zu debattieren. Im Gepäck hatten sie die faszinierende Bereitschaft, sich zu engagieren. Ein neues, junges Netzwerk begeisterter Europäer entstand. Zu ihm gehört etwa der 24 Jahre alte Cellist Steven Walter aus Esslingen, der bereits drei Festivals für zeitgemäße Darbietung klassischer Musik gegründet hat. Junge Zuhörer reißen den Organisatoren die Karten für Kammermusik in coolen Clubs aus der Hand.

Die Mehrheit der Jugendlichen tickt anders. Viele kommen aus ihrem Stadtteil oder Dorf selten heraus, europäisches Kulturleben liegt für sie in unerreichbarer Ferne, Identifikation mit und Teilhabe an Europa scheint ihnen unvorstellbar. Das muss sich ändern. Denn weniger junge Europäer zu haben, bedeutet mehr rechtspopulistische Parteien, mehr Abstinenz von der Politik.

Europäische Kommission und Europäisches Parlament sind hier durchaus hellhörig. Das Lissabonner Abkommen sah vor, die EU bis 2010 zur wissensbasierten und weltweit wettbewerbsfähigsten Gesellschaft zu machen, die die Integration aller Jugendlichen befördert. 2010, im „Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“, unterstützt die Kommission unzählige Projekte; in die gleiche Richtung zielen ihre Pläne für „Europa 2020“. Doch viele Nationalstaaten sperren sich gegen die Umsetzung – wegen der Kosten und weil sie fürchten, Kompetenzen aus der Hand zu geben.

Das ist kurzsichtig. Dringend gebraucht wird eine Jugend, die sich der Kostbarkeit des Einigungsprojektes Europa bewusst ist. Eine Jugend, die das Erbe annimmt und weiterentwickelt. Dafür sollte in allen Bereichen des öffentlichen Lebens die europäische Dimension mitgedacht, vorangebracht werden. Die besten Ideen zum Gestalten der Zukunft müssen ansteckend werden, so mobil wie Kapital und Menschen.

Die Zeit rennt. Für frühkindliche Bildung, Schulen, gesellschaftliche Teilhabe ist nicht die EU zuständig. Ihren jungen Generationen Europa nahezubringen, ist Sache der Länder und Kommunen. Die Kommission kann nur Vorschläge machen, die Nationalstaaten greifen auf – oder bremsen aus. Daher ist es Zeit für „Europa von unten“, eine proaktive Bewegung aus den Teilgesellschaften Europas. Wir Europäer sollten der Kommission als Citoyennes und Citoyens entgegenkommen, indem wir unseren Regierungen im Sinne der nächsten Generation „europäischen Druck“ machen. Eine solche Bewegung könnte richtig Spaß machen!

Die Autorin ist Ökonomin und Mitorganisatorin des Young Europan Cultural Parliament.

Sabine Froschmaier

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false