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Meinung: Europa verrät seine Jugend

In Frankreich bricht ein Generationenkonflikt auf, den es in vielen EU-Ländern gibt

Was die Studenten in Frankreich herbeiprotestieren wollen, wird eine Illusion bleiben. Denn die fetten 80er und 90er Jahre kehren nicht zurück. Und die goldenen Privilegien, die sich die Vorgängergenerationen damals erworben haben, sind heute schlicht nicht mehr bezahlbar.

In einem haben die Studenten jedoch Recht: Es ist unfair, dass die notwendigen Korrekturen bei den Sozialsystemen und die höhere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt allein auf Kosten der jungen Generationen eingeführt werden. Und so bricht mit den französischen Krawallen ein Generationenkonflikt auf, der so auch in anderen Ländern Europas besteht und der in den geburtenschwachen Gesellschaften Italiens, Spaniens oder Deutschlands sogar noch mehr Sprengkraft birgt als im noch relativ kindergesegneten Frankreich.

Dabei haben sich die unter 40-Jährigen in Europa eigentlich schon damit abgefunden, dass die Regel, wonach es der nachfolgenden Generation immer besser gehen wird als der vorhergehenden, für sie nicht mehr gelten wird. Sie wollen aber nicht auch noch Privilegien finanzieren, in deren Genuss sie selbst kaum mehr kommen werden. Warum etwa sollten die Jungen in Deutschland immer mehr in ein Rentensystem einzahlen, von dem sie sich im Alter kaum noch selbst etwas erwarten dürfen – während ihr finanzieller Spielraum für Eigenvorsorge durch die immer teureren Sozialsysteme ebenfalls immer kleiner wird?

Oder das Beispiel Italien: Hier spüren die Jungen den zementierten Arbeitsmarkt auf besonders drastische Weise. Laut Umfragen haben mehr als 60 Prozent der unter 39-Jährigen nie einen festen, sondern nur so genannte „atypische Arbeitsverträge“ besessen. Gemeint sind damit dauerhaft prekäre Arbeitsverhältnisse, die den jungen Erwachsenen den Eintritt in den regulären Arbeitsmarkt verwehren und somit auch die Sicherheit, die für eine Familiengründung notwendig wäre. Ganz so schlimm ist es in Deutschland nicht. Aber selbst gut ausgebildete Akademiker der „Generation Praktikum“ hangeln sich inzwischen manchmal jahrelang von Praktikum zu Projektverträgen, bis sie endlich einen einigermaßen verlässlichen Arbeitsplatz finden. Wer zu spät geboren wurde, den bestraft in vielen Ländern Alteuropas heute der Arbeitsmarkt.

Tatsächlich zerfällt das gepriesene europäische Sozialmodell längst in zwei Lager: diejenigen, die eine feste Arbeitsstelle haben und von den gewerkschaftlich erkämpften Privilegien samt Kündigungsschutz profitieren – und diejenigen, die gar keine oder nur noch unbefristete oder Honorarverträge erhalten, weil die Arbeitgeber nicht mehr bereit sind, Risiken und Kosten einer Festeinstellung zu übernehmen. Der Sozialversicherungsstaat frisst die Lebenschancen seiner Kinder, und das nicht nur in Frankreich.

Die französischen Studenten werden die goldenen Jahre nicht zurückholen können. Die Krawalle sind aber dennoch eine Warnung an die Politiker Europas: Selbst vermeintlich unpolitische Generationen können militant werden, wenn ihre Interessen massiv mit Füßen getreten werden. Das heißt nicht, dass die Sozial- und Arbeitsmarktsysteme nicht reformiert werden müssen. Es heißt aber, dass das nicht allein auf dem Rücken derjenigen geschehen kann, die heute außerhalb des Privilegiensystems stehen.

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