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Europa wirbt nicht genug für sich: Alle wollen zu uns

Europa ließe sich gut kommunizieren, so einleuchtend wie unpathetisch. Aus der Summe der guten Europanarrative kann dann ein mitreißender Strom der Erzählung werden

Von Caroline Fetscher

"Ist das hier Deutschland?“, hat ein Flüchtling gefragt, der nach der Überfahrt im Mittelmeer den Felsen Lampedusa erreicht hatte, eine zu Sizilien gehörende Insel. Wieder sind in diesen Tagen Hunderte und Tausende von Frauen, Männern und Kindern in Booten am Rand Europas gelandet. Sie riskieren Leib und Leben, um das gelobte Land zu erreichen, unseren Kontinent. So bitter, so zynisch es sich anhört: Die Szenen solcher hochriskanten Landungen sind ein gigantischer Beweis für den Erfolg von Europa. Sie sind Reklame für eine Europäische Union, die selber kaum wagt, für sich zu werben.

„Da wollen wir hin!“, ist der implizite Ruf der Flüchtlinge, die das karge Vermögen ganzer Familien Schleppern aushändigen und ausgerüstet mit Wasserflaschen, Decken und Benzinkanistern marode Schaluppen besteigen, um dahin zu gelangen, wo „wir“ sind, an den Ort, symbolisiert durch die beiden Buchstaben E und U.

Es ist grausam traurig, dass die Hunderttausende, die jenseits dieses Kontinents von Europa träumen, die beste Werbung für die EU sind. Aber es ist symptomatisch. Europa wirbt bei den eigenen Bürgern nicht wirksam für sich. Ursache dafür ist wohl ein lähmendes Paradox. Am Werk scheint zugleich die Furcht, zu attraktiv für zu viele zu sein, und die Befürchtung, zu unattraktiv zu sein – also ein Mangel an Selbstbewusstsein, an Bewusstsein für die eigenen, politischen Errungenschaften. Beides ist gleich falsch und gleich fatal.

Als junger Mann hat sich ein Berliner aus der Nachbarschaft für die internationale Solidarität engagiert, für eine bessere Welt, eine Utopie. Heute, in die Jahre gekommen und politisch gereift, freut er sich daran, dass mit der Europäischen Union Kernaspekte der Utopie Wirklichkeit geworden sind, dass zum Beispiel seine Töchter im Studium mühelos halb Europa kennenlernen. Aber warum, fragt nicht nur der Nachbar, wirbt Europa nicht für sich? Gemeinsam sind wir stärker, friedfertiger, neugieriger, austauschfreudiger – wie faszinierend ließe sich das illustrieren. Die Ästhetik von Brüsseleuropa hingegen wirkt fast durchweg uninspiriert. Immerhin unternahm in den vergangene Wochen ein Wahlwerbespot den Versuch, die Idee Europa personalisiert zu kommunizieren. Da erzählen Individuen von ihren positiven, beglückenden Erfahrungen als EU-Bürger; eine Frau erinnert sich an Grenzkontrollen, die ihre Kinder nicht kennen, ein Architekt spricht vom Haus Europa. „Früher war alles besser? Das ist Unsinn“, sagt ein älterer Herr. „Europa ist Meinungsfreiheit, Sicherheit, Menschenrechte.“

Die Aussagen waren schlicht und richtig, die Schauspieler, leider, schlecht. Aber der Spot war schon fast ein Lichtblick in der Düsternis der Einfallslosigkeit, die in sich Symptom für die fahrlässige Zaghaftigkeit der Europafreunde ist. Der Spot kam übrigens von der CDU, nicht von der SPD, wie Zuschauer meinen mochten. Doch Jean-Claude Juncker und Martin Schulz haben ja ohnehin Mühe, sich voneinander abzugrenzen. Auch die beiden entzünden kein Freudenfeuer für den schönen Götterfunken der europäischen Hymne. Indes brodelt die toxische Nationalsuppe bei EU- Mitgliedern von Ungarn und Frankreich bis Großbritannien, die sich in ihrer „Identität“ bedroht fühlen. Als Gegner einer internationalen Institution rotten sie sich jetzt – das ist das köstlich-groteske Paradox bei den Feinden Europas – international zusammen.

Wovor fürchten sie sich? Warum lassen überzeugte Europäer sich von ihnen einschüchtern? Die Angst vor dem Verschwinden regionaler Identität ist so irrational, wie das Konstrukt der Nation es von Beginn an war. In den Vereinigten Staaten haben alle Bundesstaaten, ob Texas oder New York oder Ohio oder Kalifornien ihren jeweils eigenen Tonfall, ihre ästhetischen, kulinarischen sogar rechtlichen Distinktionsmerkmale, ihre Einwohner sehen sich zugleich als Amerikaner. Frühe Werbekampagnen für die USA waren beherzt, proaktiv, sendungs- und selbstbewusst. Auch wenn man sie nicht imitieren sollte, lernen kann man von ihnen.

Europa ließe sich gut kommunizieren, so einleuchtend wie unpathetisch. Das zeigt zum Beispiel Mirko Drotschmann, der Schülern als „MrWissen2go“ auf Youtube unter anderem die Geschichte Europas nahebringt. Leute wie ihn müsste man vom Fleck weg engagieren für ein Team, das Europa besser kommuniziert. Aus der Summe der guten Europanarrative kann dann ein mitreißender Strom der Erzählung werden, der nicht allein die Eliten erreicht, sondern alle.

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