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Demonstration in Baku: Geht vom Eurovision Song Contest auch ein politischer Impuls aus?

© dapd

Eurovision Song Contest: In Baku sollten wir mal Haltung zeigen

Formel 1 in Bahrain, Fußball-WM in Katar und der Eurovision Song Contest in Aserbaidschan: So wird Publicity für Länder gemacht, die von Autokraten regiert werden. Doch im gleichen Moment beleuchten die Schlaglichter der internationalen Medienmacht Protestbewegungen und Bürgerkriege.

In Baku sollten wir mal Haltung zeigen. Baku ist die Hauptstadt von Aserbaidschan, das wird regiert von Ilham Alijew. Der ist Autokrat, unterdrückt die Opposition, fälscht Wahlen und gilt nicht als Förderer der Presse- und Meinungsfreiheit. Aber Alijew ist Gastgeber des diesjährigen European Song Contests. Seine Landeskinder haben den Wettbewerb dummerweise 2011 in Düsseldorf gewonnen. Also gastiert der Zirkus vom 22. Mai an in Baku, und Roman Lob fährt für Deutschland hin.

Muss er das? Soll er nicht stellvertretend für das deutsche Gewissen absagen, in unser aller Namen den Boykott wagen? Wäre doch eine echte Wiedergutmachung für die Schande am Sonntag in Bahrain. Auf der Ölinsel herrscht ein Königshaus, das von Menschen- und Bürgerrechten, von Toleranz und Demokratie ebenso viel hält wie der Aserbaidschaner Alijew. Deutsche Formel-1-Fahrer fuhren deutsche Rennautos um die Grand-Prix- Strecke, Sebastian Vettel reckte die Faust, in Deutschland sahen mehr als sieben Millionen bei RTL zu. Weniger Boykott war selten.

Bilder: Aserbaidschan vor dem Eurovision Song Contest

Die Frage ist, ob Entertainment und Sport für mehr als Entertainment und Sport stehen, ob sie nicht nur Haltungsnoten bekommen, sondern auch eine Haltung haben müssen. Zunächst sind sie Ereignisse, die den Ereignisort markieren und via Bild und Ton die dortigen Verhältnisse bekannt und sichtbar machen. Die internationale Medienmacht liefert den doppelten Effekt: Die Herrscher in Aserbaidschan und Bahrain wollen Publicity, und im gleichen Moment beleuchten die Schlaglichter die Protestbewegung und den Bürgerkrieg. Selbst der hartleibigste Sängerfreund, selbst der hartnäckigste Formel-1-Enthusiast bekommt Kenntnis vom Ungerechten und vom Undemokratischen. Der Gewinn kann sich vermehren, wenn Oppositionelle neue Kraft aus weltweiter Aufmerksamkeit schöpfen. Ein Udo Lindenberg in Pankow war mehr als das Gitarrengeschenk für Erich „Honi“ Honecker.

Wer mehr will als diesen doppelten Effekt, der muss radikaler rangehen. Der sagt Nein zu einem Weltfußballverband Fifa, der die Fußball-WM nach Katar vergibt, der stellt sich gegen die Europäische Rundfunkunion EBU, die Aserbaidschan am Song Contest teilnehmen lässt. Der macht seine Nein-Haltung zum Handlungsprinzip. Der ist hoffentlich auch so charakterstark und verzichtet darauf, mit China, dem Partnerland der Hannover-Messe, Geschäfte zu machen und so seinen Wohlstand zu sichern. Wer von Sport und Entertainment verlangt, was Politik und Wirtschaft nicht zu leisten bereit sind, der ist ein Maulheld und feiert seine Triumphe im Narrensaum.

Fotos: So gewann das Duo Ell/Nikki aus Aserbaidschan den Eurovision Song Contest 2011:

Strikte Tugend ist stets in der Gefahr, der bessere Teil der Tapferkeit und der schlechtere Teil der Klugheit zu sein. Hier ein Boyköttchen, dort eine empörte Ausladung, das bringt wenig mehr ein als Isolation, Besserwisserei und Arroganz-Gehabe. Nur im Mit- und Gegeneinander kann die eigene Position und die Position des anderen überprüft werden. Wer alleine ist, nachdem er allen anderen die Tür gewiesen hat, der hat immer recht. Er setzt jedoch nichts von seiner Rechthaberei durch.

Schön (weil einfach) wäre er schon, so ein Kriterienkatalog für Protest bis Boykott. Gerne auch als Vademecum für einen Protest- und Boykottbeauftragten der Bundesregierung. Die hat den Menschenrechtsbeauftragten Markus Löning. Der fährt unverdrossen nach und informiert unverdrossen über Baku, genauso wie der Grünen-Politiker Volker Beck. Das sind ehrenwerte Aktionen mit einem schmalen Wirkungskreis. Die ARD, als EBU-Mitglied ironischerweise Mitträger des Song Contests in Baku, hat angekündigt, dass sie im Vorfeld des Wettbewerbs umfassend über die Situation in Aserbaidschan informieren will. Da steckt Wirkungsmacht drin. In Aserbaidschan wie in der Ukraine wie in Katar. Die Medien, vom geschriebenen über das getwitterte Wort, vom Radio bis zum Fernsehen sind die Transport- und Schmiermittel für lukrativen Sport und attraktives Entertainment. Welcher Autokrat auch immer glaubt, er könne sich und sein Regime schöner als schön darstellen, der muss mit einer Gegendarstellung rechnen.

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