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Evangelische Kirche: Defensiver Kulturkonservatismus

In der evangelischen Kirche wächst der Widerstand gegen eine Akzeptanz von in homosexuellen Partnerschaften lebenden Pfarrerinnen und Pfarrern. Ein Brief und seine Folgen: Wenn deutsche Protestanten über Persönliches diskutieren.

Acht frühere Bischöfe haben einen Brief an die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) geschrieben, in dem sie das neue Pfarrerdienstrecht kritisieren, weil es homosexuellen Geistlichen erlaubt, mit ihrem Lebenspartner im Pfarrhaus zu wohnen. Der Brief hat einigen Wirbel verursacht. Liberale wittern in ihm den Versuch einer (alters-)konservativen Konterrevolution. Ein solcher Reflex ist normal.

Ungewöhnlich aber ist der Brief selbst. Er wirkt wie aus einer anderen Welt. Was, das gibt’s noch? Evangelische Bischöfe, die sich in Angelegenheiten der persönlichen Lebensführung einmischen? Protestantische Moral: Das hat doch längst nichts mehr mit Fragen zu tun, die die Gesellschaft ins Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen gelegt hat – Sexualität, Ehe, Familie, Adoption, künstliche Befruchtung. Kurt Tucholsky war wohl einer der Letzten, der mit dem Begriff operieren konnte: „Da war die Frau Otto aus Magdeburg, die sah aus wie die protestantische Moral“, schrieb er in seiner Geschichte „Der schiefe Hut“. „Die Moral hatte eine Tochter … wenn man sich schon von der Mutter schwer vorstellen konnte, wie sie zu einer Tochter gekommen war, so konnte man sich von der Tochter gar nichts vorstellen, und man wollte das auch nicht.“

Nun gibt es in der Evangelischen Kirche durchaus eine Vorstellung von christlicher Tugendhaftigkeit. Aber die beschränkt sich im Zwischenmenschlichen auf Haltungsnoten (Verlässlichkeit, Wahrhaftigkeit, Verantwortung), oder sie zielt ganz allgemein auf Ökologie, soziale Gerechtigkeit und Friedenspolitik (Bewahrung der Schöpfung, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz). Ansonsten sei jeder der Schmied seines eigenen Glückes.

Ist der Brief der acht Altbischöfe kein Gegenbeweis? Nein. Einerseits ist er in seinem streckenweise apodiktischen Stil derart exotisch, dass er – auf etwas paradoxe Weise – den Abschied der offiziellen Evangelischen Kirche von jeder Art Dogma im Bereich der Lebensführung eher noch unterstreicht. Andererseits klingen die Autoren oft eigentümlich defensiv. Darin wiederum ähneln sie den Subjekten ihrer Kritik. Denn wie bei anderen Großkontroversen – Abtreibung, embryonale Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik, Sterbehilfe – geht es der EKD weniger um die Verteidigung einer für wahr befundenen Lehrmeinung, sondern um eine Art Handbremsenfunktion: Das oft technisch ermöglichte kulturell Neue soll aufgehalten, abgebremst werden.

Vielleicht markiert das heute den entscheidenden Unterschied zwischen Protestantismus und Katholizismus. In Dingen der persönlichen Lebensführung fragen konservative evangelische Christen, welche Geschwindigkeit des gesellschaftlichen Wandels zumutbar ist und was der eigene Nachvollzug dieses Wandels für den ökumenischen Dialog bedeuten würde. Auch diese Frage beantworten die acht Altbischöfe anders als die EKD. Konservative Katholiken dagegen denken in Kategorien von richtig und falsch, taktische Aspekte einer Überzeugung lehnen sie als primäre Motivation ab.

Die Diskrepanz lässt sich sogar schärfer formulieren. In Fragen der persönlichen Lebensführung sind Katholiken den Muslimen und christlich Orthodoxen näher, die Protestanten dem Zeitgeist und libertären Agnostikern. Um die Ökumene steht’s wahrlich nicht gut.

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