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Evangelischer Kirchentag: Die Freiheit zur Einheit

Beim 33. Evangelischen Kirchentag geht es um eine neue globale christliche Solidarität, meint Malte Lehming. Protestanten und Katholiken in Deutschland müssen sich ihrer Haut zwar nicht erwehren, leben aber in einer mitunter aggressiv atheistischen Umgebung.

Politisch war er oft, spirituell manchmal. Doch die großen, elektrisierenden Kontroversen – Atomkraft, Frieden, Dritte Welt, Globalisierung, Immigration – haben an Identitätsstiftungspotenzial eingebüßt. So wird es wohl schwierig, dem 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag seismografische Töne abzulauschen. Ob Deutschland in elf, acht oder fünf Jahren aus der Kernenergie aussteigt, in zwei, drei oder vier Jahren die Bundeswehr aus Afghanistan abzieht, sind Fragen eher technischer als prinzipieller Natur.

Ein großes, fröhliches Glaubensfest wird Dresden sicher trotzdem. Doch darüber hinaus? Vielleicht ist es Zeit für einen neuen Trend. Man könnte ihn die solidarische Globalisierung der christlichen Botschaft nennen. Am stärksten wächst die Zahl der Christen in Afrika und Asien. In diesen Regionen verschwimmen meist die Gegensätze, die Europas schrumpfende Gemeinschaft weiterhin prägen – in Katholiken und Protestanten etwa. Synkretistische Formen des Christentum werden, global betrachtet, die Regel, traditionsverhaftete Formen die Ausnahme. Das verpflichtet zu neuer innerchristlicher Toleranz, zu einer Vertiefung der Bande über Trennendes hinweg.

Globale christliche Solidarität bedeutet weiter, die Verfolgung von Christen – ob in islamischen oder asiatischen Ländern – nicht mehr nur als allgemein humanitäres Los anzuprangern, sondern auch als Angriff auf die eigene Glaubensgemeinschaft. Von den 1,2 Millionen irakischen Christen mussten bereits mehr als zwei Drittel fliehen. In Nordkorea sind Zehntausende Christen in Arbeitslager gesperrt. In einigen islamischen Ländern wird Apostasie mit dem Tod bestraft. Ägypter, die ihren Despoten stürzen, werden von uns gefeiert. Doch die sieben Millionen Kopten im Land könnten zu Leidtragenden neuer gesellschaftlicher Eruptionen werden. Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht. Überall auf der Welt müssen Christen für dieses Recht noch stärker eintreten als bisher. Denn: Da wird auch dein Herz sein.

Protestanten und Katholiken in Deutschland müssen sich ihrer Haut zwar nicht erwehren, leben aber in einer sehr säkularen, mitunter gar aggressiv atheistischen Umgebung. Als relativ neue religiöse Kraft wiederum gewinnt der Islam an gesellschaftsprägender Relevanz. Aus diesem doppelten Rechtfertigungsdruck kann ebenfalls das Gefühl eines neuen Miteinanders entstehen. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt war Katrin Göring-Eckart, die sowohl Präses der EKD-Synode ist als auch Kirchentagspräsidentin, am Montag im Vatikan zu einer Audienz bei Papst Benedikt XVI. Im September wird sie ihn bei seinem Deutschlandbesuch im Augustinerkloster in Erfurt begrüßen, in dem vor 500 Jahren der Mönch Martin Luther lebte. Ein halbes Jahrtausend ist selbst kirchengeschichtlich eine lange Zeit.

Wer weiß? Womöglich markiert Dresden bloß den ersten Kirchentag in diesem Jahr, der zweite findet dann im Herbst, rund um Papst Benedikt, statt. Wer beide Ereignisse komplementär versteht und nicht als konkurrierend, hat die Zeichen der Zeit erkannt.

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