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Ex-Bundespräsident Christian Wulff (CDU) erwartet einen Freispruch.

© AFP

Ex-Bundespräsident vor Gericht: Christian Wulff: Es geschieht ihm Recht

Christian Wulff könnte sich freikaufen. Doch will er den Freispruch und Ermittler, die sich in Demut entschuldigen. Er vergisst, dass nun eine peinliche Geschichte breitgetreten wird. Man schreibt in hohen Ämtern keine Bettelbriefe an Konzernchefs. Ist es naiv von ihm, eine Reinwaschung zu erwarten?

In der Zeit vor dem NSA-Skandal, als der Euro Hawk als modernes Rüstungsprojekt galt, Arabiens Frühling nicht verblüht war und Syrien noch nicht implodiert, da machten zwei Ereignisse das Land atemlos: das Erschrecken über die Hassmordserie von Neonazis und die Empörung über Christian Wulff. Im Vergleich zu allem anderem scheut man sich heute, den zweiten Fall eine Affäre zu nennen. Doch war sie eine. Nun soll sie enden, mit einem Strafprozess gegen das frühere Staatsoberhaupt, dem ersten seiner Art. Vor einem Urteil steht die Frage: Muss das überhaupt noch sein?

Wulff ist die tragische Figur in einem kurzen Kapitel Republikgeschichte. Präsentiert hatte ihn die Kanzlerin als braven Parteischüler mit Ämterpraxis, der ebenso formatlos wie mehrheitsgewiss dem um den Sympathiehelden Gauck entfachten Sturm zu trotzen hatte. Das stand er durch; der Boulevard entdeckte bald den Reiz seiner relativen Jugend, die Attraktivität von Kind und Gattin, und so erhob sich das Schloss Bellevue kurzzeitig zur Bühne für ein vorbildlich-frisches Familienglück. Daneben setzte der durchaus qualifizierte Redner einige Akzente, umarmte die Muslime, warnte vor der Euro-Rettung durch die EZB, traf den Ton im Umgang mit den Hinterbliebenen der Nazi-Opfer. Weitsichtig und einfühlsam war das, präsidiabel. Doch was er politisch aufzubringen in der Lage war, im Privaten hatte er es vermissen lassen.

So war es zu Hauskaufquerelen und Halbwahrheiten gekommen. Man suchte und fand. Jede Antwort von Wulff warf neue Fragen auf. Seine Transparenzoffensive geriet zur Selbstanklage. Kleinigkeiten zwar, aber es reichte. Die Ansprüche der Bürgergesellschaft an die Redlichkeit ihrer Eliten ist gestiegen, ebenso an deren Performance. Skurriles wird so wenig verziehen wie ein kleiner Gefallen für gute Freunde. Unbarmherzig findet das mancher. Aber die alten Zeiten, in denen Korruption und Trunkenheitsfahrten als Ausrutscher galten oder die Scham für die verquere Rhetorik eines Heinrich Lübke lediglich Stoff für Witzchen bot, wünscht sich niemand zurück.

Der Mythologisierung von Wulff als Opfer einer Hetzjagd gilt es daher vorzubeugen. Es waren nicht die Medien, die ihn final aus dem Amt gedrängt haben, es war der staatsanwaltliche Beschluss, ihm ein Ermittlungsverfahren anzuhängen. Auch hierbei war keine Willkür im Spiel, sondern gesetzlicher Zwang. Vorwerfbar wäre höchstens gewesen, die Untersuchungen noch länger hinauszuzögern. Über den Aufwand, der danach betrieben wurde, mag man sich mokieren; hätte man Wulff jedoch wie andere Geringstbeschuldigte ziehen lassen, es hätte einen Aufschrei gegeben. Er wäre es vielleicht gern, aber er ist nun mal kein Angeklagter wie jeder andere. Und vom kleineren eigenen auf das nächstgrößere Unrecht anderer zu verweisen, ist auch nicht die klügste Entlastungsstrategie.

Der Prozess ist daher folgerichtig – nur geben muss es ihn nicht. Wulff konnte und kann sich freikaufen. Doch will er den Freispruch wegen erwiesener Unschuld und Ermittler, die sich in Demut entschuldigen. Er vergisst, dass unabhängig vom strafbaren Vorwurf nun eine peinliche Geschichte breitgetreten wird. Man schreibt in hohen Ämtern keine Bettelbriefe an Konzernchefs, um sich für befreundete Unternehmer zu verwenden. Es gehört einige Chuzpe – oder ist es Naivität? – dazu, angesichts dieser Befunde eine Reinwaschung zu erwarten. Freilich, hoffen darf Wulff. Gebeutelt und getrieben, wie er ist, hoffen viele mit. Letztlich jedoch geschieht ihm nur Recht.

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