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Meinung: Explosive Chemie

Was Wikileaks berichtet, zeigt einen Tiefstand der deutsch-amerikanischen Beziehungen

Entschuldigen wollen sich die USA nicht. Sie sagen nur, dass ihnen die Veröffentlichungen durch „Wikileaks“ leidtun. Das ist schon ein klares Signal. Deutlicher kann man kaum sagen, dass alles, was in den Schriftstücken steht – von denen wenige „geheim“ eingestuft sind oder „vertraulich“ –, weiter gilt. Washington, das offizielle, stellt sich damit hinter Wertungen von namentlich nicht genannten Mitarbeitern, Referenten, die Angela Merkel als Kanzlerin sehr kritisch betrachten und Guido Westerwelle als Außenminister die Qualifikation für sein Amt absprechen. Und eine höchst unsympathische Persönlichkeit zusprechen.

Das können in Zukunft interessante deutsch-amerikanische Gespräche auf hoher und höchster Ebene werden: Sie wissen jetzt, was sie voneinander zu halten haben. Und wie die Deutschen als Verbündete eingeschätzt werden. Da möchte man doch zu gerne mal in den kommenden Monaten hinter die geschlossenen Türen schauen, wenn es um wichtige Fragen geht, zum Beispiel um: Abrüstung, Westerwelles Lieblingsthema. Oder durch ein „Leak“ einen Originalton einfangen zum Thema Afghanistan und Truppenabzug. Hier gibt es unterschiedliche Interessen, die schon vorher schwierig in Übereinstimmung zu bringen waren.

In jedem Fall lässt sich, fernab von allen Beteuerungen und auch Beschönigungen, sagen: Das ist der Tiefstand der deutsch-amerikanischen Beziehungen der Neuzeit, schlimmer als das, was Helmut Schmidt und Jimmy Carter von je dem anderen hielten, oder George Bush der Jüngere von Gerhard Schröder. Sicher, Staaten haben keine Freunde, Staaten haben nur Interessen, lautet der Lehrsatz von Lord Palmerston. Aber freundschaftlicher Umgang kann das Politisch-Diplomatische ungemein erleichtern. Nicht von ungefähr sprechen auch die Amerikaner von „chemistry“, der Chemie, die zwischen politischen Persönlichkeiten stimmen müsse.

Alle Berichte über Politiker aller Parteien und die Äußerungen der Politiker übereinander mögen unangenehm berühren, weil sie sich wie Getratsche ausnehmen. Dennoch sind sie insofern relevant, als sie die Menschen, die Deutschland regieren (und die Opposition gehört dazu), im Spiegel auswärtiger Beobachter zeigen. Journalisten, dazu ausgebildet, konnten sie auf Relevanz prüfen, und auch darauf, ob sie zutreffen können, Quellen wurden geschützt.

Was aus Nah- und Mittelost, was von arabischen Potentaten und anderen berichtet wird – wenn das alles so stimmt, kann es international-verhandlungspolitisch und für die Einzelnen im Einzelfall gefährlich werden. Und doch kommt hinter „Wikileaks“ keiner zurück. Die Politik insgesamt muss sich deshalb Gedanken machen, nicht über Einschränkungen investigativer Recherche, die in der vernetzten Welt erweitert wird um einen Informationskanal, sondern über die zukünftige Speicherung und Sicherung von Datensätzen. Was, wie lange, wie viel? Da wird es über die Koalition in Deutschland auch noch einiges zu berichten geben. Und zwar öffentlich.

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