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Meinung: Fahndung nach Triebtäter: Leitartikel: Der Fall Schmökel

Vier Mal schon hat eine junge Frau aus einem mecklenburgischen Dorf das Gleiche durchgemacht: Ihr verurteilter, ihr eingesperrter Vergewaltiger ist aus der Haft entkommen und womöglich auf dem Weg zu ihr. "Tut mir leid, aber die Kleine geht mir nicht aus dem Kopf", hatte Frank Schmökel 1997 bei seiner zweiten Flucht auf einem Zettel hinterlassen.

Vier Mal schon hat eine junge Frau aus einem mecklenburgischen Dorf das Gleiche durchgemacht: Ihr verurteilter, ihr eingesperrter Vergewaltiger ist aus der Haft entkommen und womöglich auf dem Weg zu ihr. "Tut mir leid, aber die Kleine geht mir nicht aus dem Kopf", hatte Frank Schmökel 1997 bei seiner zweiten Flucht auf einem Zettel hinterlassen. Spätestens seit diesem Fall müssen die Fahnder damit rechnen, dass es den geistig schwer gestörten Gewalttäter immer wieder an den Ort seines schlimmsten Verbrechens und zu Christine W. zieht, dem Opfer von damals. 1994 hatte er "die Kleine" in Mecklenburg vergewaltigt und beinahe umgebracht. Sie war 14. Er war aus dem Landeskrankenhaus Brandenburg ausgebrochen.

Seit der vorigen Woche ist Christine W. erneut in Panik. Schmökel ist wieder verschwunden. Wieder steht sie unter Polizeibewachung. Deshalb ist der Fall Schmökel auch mehr als der wiederholte Fall eines gemeingefährlichen Ausbrechers. Er stellt nicht nur die wohlfeile Frage, ob es möglich sein darf, dass Verurteilte aus der Haft entkommen. Das wird immer möglich sein. Die Verantwortlichen stehen aber auch vor der Frage, ob sie über dem Wohl von Frank Schmökel das von Christine W. vernachlässigt haben. Das ist das Schlimmste, was ihnen passieren kann. Denn es gibt auch noch der ebenso billigen wie falschen Behauptung Nahrung, dass der Staat sich mehr um die Täter kümmere als um die Opfer.

Es gibt Rechtstheoretiker, die Gefängnisse für einen Verstoß gegen die Menschenwürde halten. Aber selbst der idealistische Jurist Uwe Wesel kam um den Satz nicht umhin, dass der Schutz der Gesellschaft vor Gewalttätern "ohne Freiheitsbeschränkungen kaum möglich" sein werde. Schmökel saß im Maßregelvollzug. Gemeinhin sagt man Psychiatrie. Der brandenburgische Maßregelvollzug gilt als durchlässig. Mal durchsägte der Mann ein vorsintflutliches Gitter. Diesmal ist er entkommen, weil seine Bewacher vor dem Haus seiner Mutter rauchen wollten. Sie waren unbewaffnet, denn sie sind Pfleger.

Der Maßregelvollzug steht unter ärztlicher Leitung und gehört zu den Gesundheitsbehörden. Das hat nun dazu geführt, dass ein Mann ohne Fessel und ohne jede direkte physische Einschränkung zu seiner Mutter ausgeführt worden ist, der einmal von sich selbst gesagt hat, dass er Angst vor sich habe; dass die Ärzte ihm "die Bestie" aus dem Leib holen sollten.

Es ist sinnlos, bei dieser Lage darüber zu streiten, ob die Psychiater wieder einmal ein Fehlurteil gefällt haben. Im Ergebnis haben sie das. Ob externe Gutachter anders geurteilt hätten, weiß man nicht. Schon bei oberflächlichem Hinschauen sieht man allerdings, dass die Klinik bei diesem Ausgang fast alles fahrlässig angelegt hat: Die Sorglosigkeit der Pfleger. Der kindische Gang zum Rauchen. Schließlich das fast selbstmörderische Einschreiten gegen den Mann mit dem Küchenmesser. Und zuletzt die Tatsache, dass die Polizei erst von einem Journalisten erfuhr, wen sie da jagen sollte.

Offenbar nichts war der Gefahr angemessen, die Schmökel verkörpert. Und nichts war den Erwartungen angemessen, die Christine W. an die Behandlung von Frank Schmökel stellen darf. Denn wenn die Opfer weiter vor den Tätern zittern, hat die staatliche Intervention jedenfalls versagt, ob sie sich nun Polizei oder Strafvollzug oder Maßregelvollzug nennt. Der zuständige Minister mag darüber zurücktreten, wenn er sich moralisch getroffen fühlt. Sachlich hilft es nicht weiter. Und selbst wenn man den Maßregelvollzug der sicherheitsbewussteren Justiz unterstellte, würde Frank Schmökel doch immer ein gemeingefährlicher Kranker bleiben und kein gewöhnlicher Häftling.

Aber auch bei einem mörderischen Kranken steht der Schutz der Opfer vor den Interessen des Kranken. Niemand verlangt, dass der Maßregelvollzug zu einer reinen Verwahrung hinter Gittern gemacht werde. Aber man kann verlangen, dass alles Vertretbare geschieht, um einen solchen Menschen nicht in Freiheit entspringen zu lassen. Es ist ein Beleg gedankenlosester Routine, dass Christine W. wegen einer Rauch-Pause wieder zittern muss. Es ist zynisch.

Hans Toeppen

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