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Fake-Foto: Bin Laden als T-Shirt

Die Ikone des Terrors ist tot. Doch das Bild des Toten wird weiterleben. Bin Ladens Ende bedeutet, in der medialen Gesellschaft zumal, den Auftakt einer tausendfachen Multiplikation seines Konterfeis.

Von Caroline Fetscher

Keine Stunde alt war die Nachricht vom Tod des saudischen al Qaida-Chefs Osama bin Laden, da zirkulierte ein fast authentisch aussehendes Bild des leblosen Märtyrers im weltweiten Netz. Das Abbild des Kopfes folgt in etwa der katholischen Ikonographie eines toten Heiligen, von Schmerz gezeichnete Züge, blutverkrustete Stirn, erloschene, wie geblendet wirkende Augen und der Bart des unweltlichen Asketen. Nachrichtenagenturen warnten sofort: Nicht drucken, der Quelle nicht vertrauen, es handele sich um ein Fake-Foto.

Dass die Fälschung überhaupt auftaucht und je nachdem verbreitet, akzeptiert oder verworfen wird, verdankt sich nicht allein der Profitgier ihrer Hersteller. Der Bedarf nach Ikonen, symbolhaften und haftenden Bildern ist groß, seit Bilder produziert werden; erst recht seit sie massenhaft reproduziert werden können. Die nun neue ikonographische Nachfrage im Fall bin Laden erschallt aus zwei Lagern. Die einen wollen sich vergewissern, dass diese Verkörperung des Terrors, des Bösen tatsächlich den Weg allen Irdischen gegangen ist, die anderen, seine Anhänger, möchten am liebsten das Gegenteil bewiesen haben.

US-Strategen, die über das Verfahren nach dem Tod des in Abbottabad bei Islamabad Erschossenen nachgedacht hatten, standen vor dem Dilemma, einerseits den Beweis für den Tod des Topterroristen vorlegen zu müssen, um Gerüchten und Mythisierungen – wie es sie um Hitlers Tod gab – vorzubeugen; andererseits keine Kultbilder produzieren zu wollen, die der Sache der Taliban in die Hände spielen. Daher die vermutlich weise Entscheidung, den Leichnam auf See zu bestatten und keinerlei Schrein und Pilgerstätte zu schaffen. Bilder, reale Fotografien des Toten, werden sie vermutlich doch vorlegen müssen. Oder aber solche Bilder werden weiterhin aus der Fantasie geschöpft – als islamistisches Spezialangebot zum Aufdruck auf T-Shirts, Fanpostkarten, Anwerbebroschüren.

Schon zu Lebzeiten hatten Bild und Stimme des zum mönchischen Gebirgswanderer mutierten, fanatisierten saudischen Konzernerben ikonische Funktion erlangt. Bleibt das Foto des Toten aus, fehlt also eine konkret die Märtyrerkonnotation gestattende visuelle Repräsentation, werden bildliche Darstellungen des Lebenden Ersatz bieten müssen. Denkbar ist außerdem, dass der Name des Sterbeortes, Abbottabad, das Todesdatum oder eine andere symbolhafte Chiffre sich stellvertretend durchsetzt, um Leben und Tod des wirkmächtigen Terrormeisters zu markieren. Sein Ende bedeutet, in der medialen Gesellschaft zumal, den Auftakt einer tausendfachen Multiplikation seines Konterfeis. Dessen Verbreitung hatten sich die radikalen Teile der islamischen Welt, trotz religiöser Bilderverbote, bisher schon nicht verschlossen.

So oder so, der Ikone bin Laden ist nur beizukommen durch das Einsickern der Aufklärung bei seinen Gefolgsleuten. Die bittere Wahrheit ist jedoch, dass das mehr als eine Generation dauern kann.

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