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Fall Kachelmann: Die doppelte Entwürdigung

Die vermeintlichen Fakten über den Fall Kachelmann wurden bis ins Privat-Persönlichste hinein ausgebreitet. Das ist kein Medien-, sondern ein Justizskandal. Durch Einblicke in Justizakten wurde die Würde des Angeklagten und die des angeblichen Opfers tief beschädigt

Am Donnerstag, als das Karlsruher Oberlandesgericht die über viermonatige Untersuchungshaft des TV-Wettermoderators Jörg Kachelmann wegen nicht mehr so dringenden Tatverdachts aufgehoben hat, findet sich der Kopf von Kachelmann auch auf dem Titel der größten deutschen Illustrierten. Schwarzweiß, stoppelbärtig, eine porentiefe Nahaufnahme. Im Heftinneren hat der neueste „Stern“ auch das angebliche Vergewaltigungsopfer, trotz Pixeln im Gesicht, recht gut erkennbar abgebildet. Und in der über zwei Druckseiten laufenden redaktionellen Anmoderation für den „spektakulärsten Kriminalfall des Jahres“ sind die beiden Worte „brutal vergewaltigt“ eigens blutrot gedruckt. Wie auch die Überschrift dieser Titelgeschichte: „Mit allen Mitteln“.

Die drei Worte haben, wie Karl Kraus, der große Sprachkritiker und Kriminalprozess-Beobachter, gesagt hätte, einen Beiklang von Wahrheit. Im Übrigen aber ist die Wahrheit im Fall Kachelmann das evidente Problem. Ein Mann soll seine Freundin, neben der es noch andere Freundinnen gab, bei einem Beziehungsstreit verletzt und gewaltsam zum Sex gezwungen haben. Der Mann, Jörg Kachelmann, bestreitet diesen Vorwurf, es steht Aussage gegen Aussage wie zumeist bei solch intimen Anschuldigungen. Darüber hinaus gibt es allenfalls – hoch umstrittene – angebliche Indizien.

Nicht nur im „Stern“, nein in allen Medien sind diese vermeintlichen Indizien bis hin zu körperlichen Details mal zudringlicher, mal behutsamer erörtert worden. Dazu wurde das Leben des einst beliebten Fernsehmoderators bis ins Privat-Persönlichste hinein ausgebreitet, wirkliche oder vermeintliche Geliebte füllten die Spalten, aus psychologischen, kriminologischen Gutachten, die eigentlich erst bei einem gerichtlichen Hauptverfahren hätten öffentlich werden dürfen, wurde seitenlang zitiert. Das aber ist kein Medienskandal. Es ist: ein Justizskandal.

Immer häufiger nämlich werden Informationen aus laufenden Verfahren nicht etwa von bedrängten Polizeipressestellen halb offiziell weitergereicht (oder durchgestochen), sondern von geltungssüchtigen Staatsanwälten selbstherrlich publik gemacht. Darauf antworten dann die Verteidiger ebenfalls öffentlich mit angeblichen Gegenbeweisen. So findet bereits lange vor einem möglichen Prozessbeginn eine Art Schaukampf zwischen Ankläger und Anwalt statt, den man sonst eher aus amerikanischen Gerichtsfilmen kennt.

Natürlich ist diese Art psychologischer Krimikriegsführung nicht Aufgabe der Justiz. Im Übrigen haben Staatsanwälte als Organe der Rechtspflege nicht etwa nur Belastungsmaterial für möglichst spektakuläre Anklagen zu sammeln, sondern müssen auch andere Hinweise berücksichtigen. Insoweit grenzt es an informativen Rechtsbruch, dass die Münchner Staatsanwaltschaft im gerade verhandelten Fall Brunner bestimmte Umstände beim Tod des misshandelten S-Bahnpassagiers bis vor Kurzem verheimlicht hat.

Ob Jörg Kachelmann, der ein Macho und Womanizer sein mag (was nicht sympathisch wirkt, aber kein Verbrechen ist), am Ende schuldig- oder freigesprochen wird, hat nur ein Gericht zu entscheiden. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Doch vermuten darf man schon jetzt, dass hier durch exzessive, der gerichtlichen Wahrheitsfindung vorgreifende Einblicke in Justizakten die Würde eines Angeklagten und die bürgerliche Existenz eines Menschen tief beschädigt wurde. Entwürdigt wurde dazu auch das angebliche Opfer. Ungeachtet jedes späteren Urteils.

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