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Trauerzeremonie für Kim Jong Il: Gespenstische Inszenierung in Pjöngjang.

© rtr

Faszination und Grusel: Staatstheater Pjöngjang

Mit einer Mischung aus Grusel und Neugier schaut man im Westen dem Totenpomp in Pjöngjang zu. Dabei spielt auch eine stille Lust am Horror und dämonischen Pathos eine Rolle.

Die Fernsehnachrichten und die Titelseiten der Weltmedien haben in diesen Tagen uns immer wieder das wohl fernste, fremdeste Land des Planeten vor Augen geführt. Der Tod des kleinen großen Diktators Kim Jong Il hat die Welt ganz sonderbar bewegt. Gewiss war es weltweit nicht Trauer. Die blieb, wenn es denn überhaupt eine tiefere und gar unwillkürliche Rührung war, den in ein totalitäres, ja totales Staatstrauertheater eingeschlossenen Untertanen Nordkoreas vorbehalten.

Mitgefühl – das erregt nur das Hungerleid einer überwiegend bitterarmen Bevölkerung. Natürlich regt sich auch eine nachgetragene, im Angesicht des Todes entwirklichte Empörung über das Leben eines Mannes, der selber schon ein Diktatorensohn war, der in Champagner und Gänseleberpastete schwelgte und sein Volk Gras fressen ließ. Über diesen moralischen Firnis des westlichen Betrachters aber legte sich jetzt gleichsam noch eine zweite Folie: die der Faszination.

Beim Betrachten der Bilder aus dem wintergrauen Pjöngjang mit seinen elenden Aufmarschflächen, den achtspurigen Straßen und vereinzelten Regierungspalästen, die allesamt wie betonierte Mausoleen wirken, ergab sich der Blick in eine trotz Menschenmassen ganz entmenscht erscheinende Steinlandschaft. Eine Stadt, die nur noch ein gigantischer Friedhof ist, und mittendurch zieht mit dem feisten neuen, jungen Diktator, die Hand am Seitenspiegel der schwarzen Stretchlimo mit dem Vater-Sarg, ein Zug der Generäle und Gespenster. So viel Pomp und eisiges Pathos für einen „Geliebten Führer“ hat allein noch Nordkorea zu bieten.

Es ist der Mond auf Erden und mehr. Es ist der Blick in ein geisterhaft nahes und zugleich entrücktes Paralleluniversum. Mit Worten wie „Steinzeit und Atombombe“ ist diese unheimliche Zwergmacht Nordkorea kaum zu beschreiben. Auch wenn die Bilder der allmächtigen Zensur, die noch keine digitale Gegenöffentlichkeit konterkariert, nur die gefrorene Oberfläche wiedergeben, entstellen sie die scheinbar so unendlich ferne Realität doch zur Kenntlichkeit. Wenn jetzt bereits demonstriert wird, welche Details der offiziell verbreiteten Staatstrauerbilder manipuliert wurden, ist das der dokumentarischen Mühe sicher wert.

Aber die eigentliche Wahrheit liegt eben in der öffentlichen Inszenierung. Schon jeder gewiefte Theaterzuschauer erkennt an den Gesichtern der schier hysterisch klagenden Straßenfrauen oder der ordenbetressten männlichen Jammerlappen, wie die weinende und die lachende Maske einander ähneln und bedingen. In diesem Land, dessen Herrscher uns nun die Götzenbilder ihrer Wunschwelt liefern, hat Orwell offenbar gesiegt. Auch Hitler, Speer und Leni Riefenstahl, Stalin, Mao und ihre Zeremonienmeister könnten dem Staatstheater Pjöngjang nur heftigen Beifall spenden.

Unsere eigene Gesellschaft, der per Twitter und Facebook gerade jegliche Diskretion abhandenkommt, schaut so in einer Mischung aus Grusel und Neugier über die Galaxis des globalen Informationsstroms hinweg in das kleine versteinerte Reich des Ominösen. Sogar der sonst ganz einzigartige, in vielem noch hermetisch geheimnisvolle Vatikanstaat (der einiges auch von Begräbnissen versteht) wirkt verglichen mit Nordkorea wie ein offenes Freudenhaus. Das erzeugt eine besondere Faszination.

Vor vier Jahren bereits war der Großfotokünstler Andreas Gursky nach Nordkorea gereist und hatte das Ornament der Menschenmasse und Macht im Stadion von Pjöngjang zum Gegenstand einer aufsehenerregenden Bilderserie gemacht. Darin lebt auch eine stille Lust am Horror und dämonischen Pathos. Demokratische Rituale sind uns zwar lieber, aber sie sind, mindestens ästhetisch, langweiliger als alle Diabolik. Das lehrt jeder Krimi und jedes Shakespeare-Drama.

Freilich werden auch die Popanze in Pjöngjang irgendwann einmal Geschichte sein und andere Bilder kommen. Der Totenpomp in Fernost hatte gegen die Intention seiner Inszenatoren auch etwas Endzeitliches. Der Infant als Regent? Nach der Staatstragödie noch einmal die Familienfarce? Eher ein Hauch von Götzendämmerung.

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