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Feminismus heute: Feindbild Mutterglück

Aus dem alten Korsett „Kinder, Küche, Kirche" ist heute das Korsett „Kinder, Kita, Karriere“ geworden. Eine mutter- und kinderfreundliche Gesellschaft stellt sich unsere Autorin anders vor.

Ich habe eine typische „Frauenerwerbsbiografie“. Ich habe also nicht Karriere gemacht. Manchmal empfinde ich das als ungeheure Befreiung. Dann wieder fürchte ich, etwas versäumt zu haben. Damals habe ich das Ende meines Angestellten-Daseins als herbe Niederlage empfunden. Wodurch es beendet wurde? Natürlich durch ein Kind. Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen: Examen mit eins Komma noch was, Volontariat und gleich darauf ein fester Job. Am ersten Tag in der neuen Abteilung machte mein Vorgesetzter mir klar, dass er eigentlich einen anderen Kandidaten – natürlich männlich – für meine Stelle vorgesehen hatte. Ich machte ihm klar, dass sein Vorgesetzter aber mich für diese Stelle vorgesehen hatte. Was für ein Einstieg! Außerdem war ich zu meiner Überraschung in einer Männer-Domäne gelandet, obwohl ich nun für den Kulturteil einer Zeitung arbeitete: als einzige Frau, später waren wir manchmal zu dritt. Während meines Studiums ließen sich auf den Fluren der Fremdsprachen-, Germanistik- und Geschichtsseminare zu meinem Leidwesen kaum männliche Kommilitonen finden. Wo kamen jetzt die ganzen Männer im Feuilleton her? Auf den Konferenzen wurden Zigarren geraucht und Zoten gerissen. Wie man sich zu dreckigen Bemerkungen von Männern verhält, hatte ich schon als Praktikantin eines Nachrichtenmagazins gelernt: Niemals beleidigt sein, nicht rausgehen, keine Türen knallen, bloß nicht zum Betriebsrat! Mitmachen konnte man dafür bei den schwulen Kollegen. Da waren dann die männlichen Praktikanten die Dummen. Vor allem aber durfte man sich als Frau im gebärfähigen Alter niemals zum Thema „Kinder“ äußern. Die Väter unter den Kollegen schrieben die niedlichsten Glossen über ihren Nachwuchs. Als Frau schwieg man dazu besser. Mütter gab es in der Abteilung nicht. Außer natürlich den Sekretärinnen. Die Chefs wechselten ständig. Und trotz Zoten und Zigarren wirkten meine männlichen Kollegen unglücklich.

Mein Angestellten-Dasein endete, weil ich mit Kind nur das Angebot bekam, auf meine Vollzeitstelle zurückzukehren

Ständig bekamen sie von oben eins drauf. Dumm nur, dass ich in dieser Kette ganz unten stand, als Jüngste und als Frau. Ein wohlmeinender Chef der höheren Ebene setzte sich mit mir zusammen und gab mir für mein berufliches Vorankommen den Tipp, doch öfter mal die Abendveranstaltungen des Hauses zu besuchen und mir dafür eine entsprechende Abendgarderobe zuzulegen. Ich hatte eine wunderbare Option, mich diesem Wahnsinn zu entziehen: Ich wurde schwanger. Meine beiden Vorgesetzten reagierten fassungslos. Der eine kippte im Stuhl nach hinten und ließ die Arme baumeln, der andere kippte nach vorne und vergrub das Gesicht in den Händen. „Dass es das heute noch gibt!“, sagte der eine. Ich war 32. Nach Klärung der Formalien wurde mir eine halbe Stunde später auch noch gratuliert.

Mein Angestellten-Dasein endete, weil ich mit Kind nur das Angebot bekam, auf meine Vollzeitstelle zurückzukehren. Kurz vor Einführung des Teilzeitgesetzes kündigte ich also. Eine ungeheure Dummheit! Und eine ungeheure Befreiung. Trotzdem fühlte ich mich wie ausgespuckt, mit Kind war ich nicht mehr „employable“.

Nun war ich Mutter. Und zum ersten Mal mein eigener Chef. Ich hatte alle Eigenschaften, die man dazu brauchte: Liebe, Geduld und Freude am Wachsen meines Kindes. Trotzdem bekam ich unangekündigt Besuch vom Jugendamt. Zwei Damen mit sportlichem Haarschnitt standen vor der Tür. Wie sie auf mich gekommen sind? Das sei nur ein Angebot. Wozu? Die Damen erklärten mir, dass es beim Bezirksamt eine Liste mit Tagesmüttern gebe. Ich brauchte aber keine. Die Damen verabschiedeten sich. Zum Jugendamt musste ich trotzdem. Mein Mann und ich wollten uns das Sorgerecht teilen. Wir waren noch nicht verheiratet. Die Sachbearbeiterin zeigte mit einem Lineal auf meinen Mann. Auf dem Lineal waren Fotos koprologischer Proben. Ob ich sicher sei, dass „er“ das geteilte Sorgerecht bekommen solle? Ja! Ob „er“ der Vater des Kindes sei? Ja! Ob ich wüsste, dass ich „ihn“ dann in allen Erziehungsfragen um Zustimmung bitten müsste? Ja! Ob ich mir das gut überlegt hätte? Ja! Danach ließ sie „ihn“ unterschreiben.

Das Berliner Stadtmagazin „Zitty“ veröffentlichte eine Liste mit Berlins beliebtesten Feindbildern. Darunter die „Übermutti“.

Ich merkte schnell, dass ich als Mutter nicht weniger verdächtig war als eine weibliche Angestellte. Auf die erste Beschimpfung musste ich nicht lange warten. Meine Freundin und ich fuhren unsere Babys im Kinderwagen spazieren. Wir tranken im Gehen einen Saft. Ein junger Mann versperrte uns den Weg, breitbeinig, feixend. Er war schwarz gekleidet und nüchtern. „Na, ein Käffchen mit dem Strohhalm, ihr Schickimicki-Wichsis“, sagte er. Lag das an der Berliner Luft? Wenn ich Hundebesitzer bat, die Kacke ihrer Lieblinge zu beseitigen, musste ich hören: „Aber ihr mit euren Windeln!“ Vor vielen Läden entdeckte ich Schilder mit durchgestrichenen Kinderwagen. An Treppen und Schwingtüren konnte ich manchmal sehr lange warten. Eine Freundin bekam am Bahnsteig mit Kinderwagen und Koffer zu hören: „Das hättste dir früher überlegen müssen.“ Alles nur Einbildung oder die selektive Wahrnehmung einer gestressten Mutter? Das Berliner Stadtmagazin „Zitty“ veröffentlichte eine Liste mit Berlins beliebtesten Feindbildern. Darunter die „Übermutti“. Wofür wird sie gehasst? Weil sie stillt, strickt und kocht und sich öffentlich mit ihrem Kind zeigt. Und vor allem: „Ihr Becken gebar den Heiland von morgen, ihre Bedürfnisse haben Vorrang, ihr Kinderwagen hat Vorfahrt.“ Ich fand mich wieder in Comics, Zeitungsartikeln und der Frauen-Ratgeberliteratur: Als böse Mutter, Ehrgeizmutter, Übermutter, Latte-Macchiato-Mutter und als Karikatur. Die kollektive Mütterschelte ging sogar der scharfsichtigen Comic-Zeichnerin Ulli Lust zu weit. Es sei das Leichteste der Welt, über Mütter herzuziehen, fand Lust. Obwohl sie wirklich lustige Mütterszenen zeichnet.

In meiner Heimatstadt war der Ton weniger scharf. Ich traf eine alte Schulfreundin, die schon drei Kinder hatte, und fragte sie nach ihrer Arbeit. Wenn man drei Kinder habe, müsse man nicht mehr arbeiten, sagte sie. Ich schnappte nach Luft. Wie konnte man so etwas sagen? Als ich selber drei Kinder hatte, wusste ich, dass sie recht hatte. Trotzdem war das kaum noch denkbar: sich nicht über die Arbeit zu definieren. Ich hatte mich auf ein prekäres Freiberuflertum festgelegt unter dem Stirnrunzeln meiner stets berufstätigen Mutter. Dabei mag ich meinen Beruf sehr gern.

Nur ist er in Form einer Festanstellung schwer mit Kindern zu vereinbaren. Und wer nicht vor der Geburt seiner Kinder in Vollzeit angestellt war, kann auf eine Teilzeitstelle lange warten. Ein paar Mal hatte ich mich auf Teilzeitstellen beworben, immer bekam ein Mann ohne Kinder den Zuschlag, weil er für das halbe Geld voll arbeitete. Einmal saß ich gleichzeitig mit einer anderen Mutter in einem Bewerbungsgespräch. Die Frau, die das Gespräch führte, fragte als Erstes, wie lange unsere Kinder betreut seien. Die andere Frau bekam den Zuschlag, ihre Kinder waren ganztags betreut. Bis heute fällt mir zum Thema der Vereinbarkeit immer noch nur ein Beruf ein: Lehrerin! Wie meine Mutter! Also dreißig fremde Kinder erziehen statt drei eigene. Dafür jedenfalls ist einem gesellschaftliche Anerkennung sicher. Die nächste Lektion bekam ich im Kindergarten. Als mein erstes Kind zwei Jahre alt war, meldete ich es in einer staatlichen Einrichtung an. Ein paar Tage war ich zur Eingewöhnung dabei. Und außer mir auch noch Läuse. Das Mädchen mit den schönsten langen Haaren kam am nächsten Tag kurz geschoren wie aus der Kadettenanstalt. Als Bewegungsprogramm marschierten die Kleinen um den Block: dreimal und in Zweierformation. Mit Straßenschuhen liefen die Kinder über die Schlafmatten. Zahnputzbecher und -bürsten lagen im Badezimmer verstreut am Boden, das Essen wurde aus dunkelblauen Putzeimern serviert. Die Erzieherinnen grimassierten. Warum sie nicht mitäßen, fragte ich. Sie machten Trennkost, war die Antwort. Nun verstand ich, warum in der öffentlichen Debatte alle immer von „guten“ Kitas sprachen. Ich nahm mein Kind wieder mit. Dafür musste ich mir anhören, ich könne meinem Kind keine Grenzen setzen, sei symbiotisch mit ihm verschmolzen und enthalte ihm andere Bezugspersonen vor.

Jeder redet über Mütter – was uns nicht beliebter macht –, aber niemand hört uns.

Antje Schmelcher ist freie Journalistin und lebt in Berlin.
Antje Schmelcher ist freie Journalistin und lebt in Berlin.

© Ann-Karin Schaffner

Wie lästig das Gedöns über die verwöhnten Gören ist, konnte aber niemand deutlicher machen als Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. Auf einer Wahlkampfveranstaltung im Herzen des Berliner Neubürgertums in Prenzlauer Berg tat er den Besitzern abgefackelter Autos sein Beileid kund. Echte Empathie unter Männern! Dann meinte er, in Prenzlauer Berg müssten auch solche Menschen leben dürfen, die keinen Kinderwagen haben. Nun hatten hier aber nicht nur Autos gebrannt, sondern gleichzeitig auch die Kinderwagen – in Serie! Der Wahlkreiskandidat versuchte die Lage zu retten und machte darauf aufmerksam, dass auch die Kinderwagen angezündet worden waren. Dafür erhielt er einen johlenden Zwischenapplaus einiger junger Männer aus dem Publikum und verstummte. Warum hatte der Regierende Bürgermeister nicht gesagt, hier müssten auch Menschen leben dürfen, die keinen Porsche Cheyenne fahren? Und ist es nicht weniger verwerflich, auf offener Straße leere Autos anzuzünden als Kinderwagen in von Kindern bewohnten Häusern? Oder denke ich das nur, weil ich eine Frau bin? Das eine gilt schnell als politische Straftat, das andere nicht. Ein klassischer Fall für den Gender-Gap-Report. Dabei hatte der Kinderwagen-Brandstifter bei seiner Verhaftung seinen Brass auf die ganzen Schwaben kundgetan, womit in Berlin die Bürgerlichen mit Kindern gemeint sind. Und damit die das nicht vergessen, steht auf dem Spielplatz in roter Schrift: „Tötet Yuppies“ und neben der Eisdiele: „Tötet Schwaben“. Der Kinderwagen-Anzünder war übrigens die meiste Zeit seiner Kindheit ohne Mutter aufgewachsen. Das schien kaum eine Zeile wert.

Die Summe meiner Lektionen ist: Jeder redet über Mütter – was uns nicht beliebter macht –, aber niemand hört uns. Mütter haben keine Stimme. Unsere vermeintlichen Fürsprecherinnen auf beiden Seiten des politischen Spektrums wollen uns wie eine Schafherde auf den Markt treiben. Christliche Ministerinnen und Karriere-Feministinnen sind rührend um unsere Zukunft besorgt – im Büro, der Kanzlei, der Praxis, an der Kasse oder am Fließband. Der Spielraum, in dem wir selbst diese Zukunft gestalten wollen, schrumpft rasant. Falsche Rollenvorbilder und das Schlagwort von der „Vereinbarkeit“ sollen uns weismachen, dass es ohne Entscheidungen möglich sei, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Dabei ist „Vereinbarkeit“ schon ein verdächtiges Wort. Es ist so vage wie „Machbarkeit“. In Wirklichkeit gibt es nur Vereinbarungen zugunsten der einen und zulasten der anderen Seite. Der Rest ist Propaganda. Das alte Korsett aus Kindern, Küche und Kirche ist durch ein neues Korsett aus Kindern, Kita und Karriere ersetzt worden. Eine mutter- und kinderfreundliche Gesellschaft stelle ich mir anders vor.

Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich nun gefordert, Stellung als Frau zu beziehen. Immer habe ich von den Errungenschaften der Frauenbewegung profitiert. Als Feministin habe ich mich nie gefühlt. Gleichberechtigung, Freiheit der Berufswahl, das waren für mich Selbstverständlichkeiten. Bis ich Mutter wurde. Das gibt mir aber nicht das Recht, nun auf den Feminismus zu schimpfen. Viel eher fühle ich mich in der Pflicht ihn weiterzudenken. Denn der Gleichheitsfeminismus, der heute zum Mainstream zählt, hat viele Aspekte des Frauseins nicht mehr auf seiner Agenda. Vor allem die Mutter führt er nicht im Programm. Der „kleine Unterschied“ zum Mann scheint für ihn erledigt zu sein. Frauen können heute alles werden, von der Astronautin bis zur Bundeskanzlerin. Doch das, was in ihrem Leben alles verändert, ist die Matrix geblieben, die Gebärmutter, der große Unterschied. Er lässt sich nicht „gleichstellen“, er lässt sich auch nicht wegrationalisieren. Es ist Zeit, den Feminismus weiterzudenken.

Der Text ist ein Auszug aus dem gerade erschienenen Buch Antje Schmelcher: Feindbild Mutterglück. Warum Muttersein und Emanzipation kein Widerspruch ist“. Orell Füssli Verlag, Zürich. 208 Seiten, 16,95 Euro.

Antje Schmelcher

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