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Burka oder Mantel des Schweigens? Alice Schwarzer will beides nicht und packt es weg.

© AFP

Alice Schwarzers Buch: Feministischer Schleier

Alice Schwarzer dokumentiert ihren Kampf gegen das Kopftuch – Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und sein "sehr pragmatisches" Verhältnis zur Integration dient ihr als Vorbild.

Entwarnung! Die Feministin Alice Schwarzer will nicht alle Muslime kastrieren, um das Problem männlicher Gewalt und Unterdrückung zu lösen und die Integration voranzutreiben. Sie differenziert durchaus und sieht nicht im Islam an sich, sondern im politischen Islam, dem Islamismus, vertreten durch muslimische Organisationen, eine Gefahr für deutsche und europäische Rechtssysteme und die Gesellschaften. Das Schweizer Minarettverbot, das sie nicht zu unterstützen scheint, zeuge eher von einem „Unbehagen“ aufgrund mangelnder öffentlicher Debatte als von antiislamischen Überzeugungen.

Schwarzers neuestes Buch zur Integration von Muslimen, das im Zuge der Debatte über die Thesen Thilo Sarrazins neue Höhepunkte hysterischer Aufmerksamkeit versprach, wirkt daher auf den ersten Blick überraschend nuanciert und fast schon enttäuschend versöhnlich. Sie will mit ihrem gläubigen muslimischen (männlichen) Freund Ganoud im „echten“ Dialog bleiben und ja nicht als „arrogante Westlerin“ auftreten. So steht es im Vorwort des Buches, das keine neuen Integrationstheorien aufstellt, sondern eine Sammlung von Artikeln ist, die in der von Schwarzer gegründeten Zeitschrift „Emma“ seit 1991 erschienen sind.

Wie ein „echter“ Dialog zwischen einer deutschen Feministin und einem algerischen Gläubigen aussieht, hätte der Leser gerne verfolgt. Das bleibt aber leider unklar. Skepsis ist angebracht, denn Schwarzer beweist, dass sie nicht einmal muslimischen Frauen zuhören kann, die behaupten, aus freien Stücken und persönlichen Gründen ein Kopftuch zu tragen. Die deutsche Feministin hat eine quasi-religiöse Wahrheit für sich gefunden – und die lautet: Das Kopftuch ist seit der Islamischen Revolution ein rein politisches Symbol, die „Flagge des politischen Islam“. Diese „objektive Bedeutung“ des Schleiers sei eindeutig. Und darum muss er verboten und bekämpft werden.

Davon lässt sich Schwarzer auch nicht von Musliminnen abbringen, die eine Vielzahl von individuellen Gründen für das Bedecken ihrer Haare angeben. Deren Motive zählen nicht. Schwarzer weiß das und überhaupt alles besser. Dass deutsche Konvertitinnen sich freiwillig verhüllen, ist ihr vollends unerklärlich und nur als Folge eines „weiblichen Masochismus“ zu verstehen, der wiederum eine Folge der „langen, realen Unterdrückung und Demütigung des weiblichen Geschlechts“ in westlichen Gesellschaften ist. Eine ideologische Brille scheint die Sicht manchmal genauso einzuschränken wie ein Gesichtsschleier.

Die feministische Sichtweise ist sicher interessant, aber sie erklärt eben nicht alles. So wirkt es unfreiwillig komisch, wenn Schwarzer mit Blick auf die Gewalt in französischen Vorstädten verlangt, man müsse die „brennenden Mädchen (Ehrenmorde)“ angehen, wenn man die „brennenden Autos in den Griff“ bekommen wolle. In beiden Fällen gehe es schließlich um „männliche Gewalt“. Oder wenn sie fordert, die „grenzenlose Autorität des Patriarchen in den Familien“ infrage zu stellen – nur ist diese durch Arbeitslosigkeit und fehlenden sozialen Status in der Gesellschaft ohnehin schon oft zerstört. Und es ist vielmehr ein Problem, dass der Vater den Söhnen kein Vorbild mehr ist.

Trotz der desaströsen Zustände in den französischen Ghetto-Vorstädten ist Frankreich für Schwarzer ein „Exempel“, dem mehrere Artikel, darunter von der Philosophin Elisabeth Badinter, gewidmet sind. Schwarzer outet sich darin als Anhängerin des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, der das Kopftuch- und jetzt ein Burkaverbot durchgesetzt hat. Schon als Innenminister habe Sarkozy bewiesen, dass er ein „sehr pragmatisches“ Verhältnis zur Integration hat. Er habe früh erkannt, dass Integration statt Multikulti angesagt sei. Vor dem Hintergrund der umstrittenen Massenabschiebung der Roma und Sarkozys Äußerungen, mit dem „Kärcher“ die Vorstädte vom „Gesindel“ zu reinigen, klingt dieses Lob ebenfalls fast unfreiwillig ironisch. Der Schutz von Minderheiten in liberalen, demokratischen Gesellschaften scheint der Frauenrechtlerin überraschenderweise kein Anliegen zu sein.

Die Sammlung von Artikeln dokumentiert in erster Linie den jahrzehntelangen Kampf von „Emma“ gegen das Kopftuch und die Unterdrückung muslimischer Frauen. Sowohl in Afghanistan oder Iran, wo Schwarzer schon 1979 erkannt hat, „was sich da (für die Frauen) zusammenbraut“, als auch in französischen Vorstädten. Das führt zu mancher Redundanz. Der Band zeigt nicht zuletzt anhand des Falles der deutschen Lehrerin Fereshta Ludin, die mit Kopftuch unterrichten wollte, wie lange Deutschland auch außerhalb des Leserkreises der „Emma“ bereits über Integration und den Umgang mit dem Islam diskutiert. Das ist abwägend, mühsam, manchmal quälend, aber einem liberalen Rechtsstaat angemessen, der die Rechte aller Bevölkerungsgruppen austarieren muss.

Alice Schwarzer (Hrsg.): Die große Verschleierung. Für Integration, gegen Islamismus. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 318 S., 9, 95 Euro.

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