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Festigende Bräuche: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft

Vor fast 90 Jahren ist in London das Buch "Argonauten des westlichen Pazifik" erschienen. Darin beschreibt der polnische Sozialanthropologe Bronislaw Malinowski den "Kula-Ring", ein System des Geschenkaustausches, das Malinowski in der Südsee beobachtet hat.

Von Anna Sauerbrey

Vor fast 90 Jahren ist in London das Buch "Argonauten des westlichen Pazifik" erschienen. Darin beschreibt der polnische Sozialanthropologe Bronislaw Malinowski den "Kula-Ring", ein System des Geschenkaustausches, das Malinowski in der Südsee beobachtet hat. Die Gruppen, die auf versprengten Inseln leben, fahren mehrmals im Jahr im Kreis die anderen Inseln ab, um Waren zu tauschen. Dabei werden neben Verbrauchsgütern in einem strengen Zeremoniell auch Geschenke überreicht, Armreifen und Halsketten. Die Halsketten zirkulieren im Uhrzeigersinn, die Armreifen gegenläufig. Besonders interessant daran ist, dass es nie sofort zum Gegengeschenk kommt. Vielmehr überreicht der Gastgeber ein Geschenk, das erst später, bei seinem Gegenbesuch, erwidert wird. Das System, so schließen Anthropologen, stabilisiert die Beziehungen zwischen den Inselbewohnern durch gegenseitige Abhängigkeit und sichert den Handel außerhalb fester staatlicher Strukturen.

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Das ist weder exotisch noch archaisch. Dennoch hat das instrumentelle Schenken in der modernen Gesellschaft ein Geschmäckle bekommen. Heute wird gern eine Trennlinie gedacht, zwischen privatem Schenken, ohne konkrete ökonomische Erwartungen, wie übermorgen unter dem Weihnachtsbaum, und dem Austausch von Waren und Dienstleistungen. Dafür, dass bei Letzteren niemand den anderen über das Ohr haut, braucht es keine Armreifen mehr als dingliche Geiseln. Es gibt Verträge und Gerichte. Dennoch sind Geben und Nehmen auch weiterhin eng verknüpft. Es ist, zugegeben, ein unweihnachtlicher Gedanke: Geschenke kommen nicht nur von Herzen. Und die Trennung zwischen privat und öffentlich, zwischen echten und politischen Freunden ist oft eine künstliche.

In einem Absatz zusammengefasst scheint der Kula-Ring eine simple Angelegenheit und das heutige Geflecht von Geschenkbeziehungen ungleich komplexer. Doch Bronislaw Malinowski verbrachte dreieinhalb Jahre im Südpazifik. Vielleicht wäre jemand, der ähnlich lange Feldforschung auf den Stehpartys der Hannoveraner Schickeria betriebe, zu einer ebenso systematischen Darstellung eines Geschenkzirkels in der Lage. Urlaubsreisen und Werbekampagnen im Uhrzeigersinn, Privatkredite in entgegengesetzter Richtung. Schwieriger zu benennen sind die Gegenleistungen. Für einen Armreif erhält man nicht zwingend eine Halskette. Man setzt den Beschenkten in eine unbezifferte, unausgesprochene Schuld. Man gewinnt soziales Kapital.

Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Die Soziologie zeigt, dass Gesellschaften, in denen es viel Sozialkapital, also Vertrauen und Verbindlichkeiten gibt, besser funktionieren. In der Politik wird das erst zum Problem, wenn unklar ist, ob es eine Gegengabe gab und welche, denn Politiker sollten allen Bürgern gleichermaßen verpflichtet sein und nicht denen ein bisschen mehr, die ein bisschen mehr zu verschenken haben. Das ist längst in Paragrafen gefasst: "Die Mitglieder und ehemaligen Mitglieder der Bundesregierung haben dieser über Geschenke Mitteilung zu machen, die sie in Bezug auf ihr Amt erhalten. Die Bundesregierung entscheidet über die Verwendung der Geschenke", heißt es im Bundesministergesetz und ähnlich in den Landesministergesetzen. Politiker sollten es mit Geschenken halten wie im "Kula-Zirkel". Denn der ist ein transparentes System, es bleibt glitzernd sichtbar, wer bei wem in der Pflicht steht.

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