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Fetzenliteratur: Die neue stumme Gesellschaft

Kulturpessimisten warnen: Die deutsche Sprache ist bedroht. Twitter, iPad und Charlotte Roche sind verantwortlich für einen neuen Sprachpessimismus. Zu Recht?

Der Untergang der schönen deutschen Sprache war mal wieder unaufhaltsam, damals. Jedes Wort kostete, und wer eins dieser neumodischen Telegramme schrieb, der wusste das. „ankomme freitag den 13.“ wurde also getextet oder „anbiete freibleibend sonderposten Saitlinge“. Schön las sich dieser „Telegrammstil“ nicht, und es dürfte Kulturpessimisten gegeben haben, die das Ende des korrekten Deutschs bis ca. 1930 so schlüssig prognostizieren konnten wie das Ersticken der Städte unter Pferdeäpfeln.

Daraus ist bekanntlich nichts geworden, das Telegramm ist so vergessen wie sein Stil. Und die deutsche Sprache hält sogar den Attacken von Charlotte Roche oder Helene Hegemann stand und schmeißt die blöden Anglizismen – es gibt ja auch andere – nach Abnutzung lässig über Bord. Dennoch ist Sprachpessimismus natürlich viel zu schön, um unterlassen zu werden, und deshalb hat sich Hans Zehetmair, der Chef des deutschen Rechtschreibrats, dorthin begeben, wo es ihm richtig wehtut. Und das ist dort, wo die Leute „hdl“ statt „Hab dich lieb“ schreiben und Smileys schicken, wo ihre Vorfahren die Vorzüge der rosenfingrigen Anmut ihrer Geliebten in parfümierten Briefen gelobt hätten.

Ja, Zehetmair ist besorgt über die „Twitter-Literatur, in der es keine ganzen Sätze mehr gibt“, darüber, dass immer mehr „Fetzenliteratur“ geschrieben und immer weniger gelesen werde – was angesichts gigantischer Umsatzzuwächse beim e-Buch möglicherweise nicht ganz beweisbar sein mag. Und es erinnert nebenbei auch ein wenig daran, dass die große Erika Fuchs in den Fünfzigern, weil sie Donald Duck „Stöhn!“ und Seufz!“ in den Schnabel schob, als Jugendverderberin beschimpft wurde; heute zählen wir sie zu den bedeutenden Sprachneuerern des Jahrhunderts.

Längst nimmt eine schlimmere Bedrohung Gestalt an. SMS und Twitter, Facebook und Google plus, dazu iPad und was noch so kommen mag – das bedeutet ja, dass die Leute vor lauter Fetzenliteratur gar nicht mehr zum Telefonieren kommen und damit auch nicht mehr zum Reden. Stumm wird sie sein, die neue Gesellschaft, erfüllt vom Klicken und Piepsen der Sprechersatzgeräte. Und statt einer Zunge wird der Mensch einen riesigen Zeigefinger besitzen … Ja, Kulturpessimisten, nun warnt mal.

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