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Die Sorgen von Bundeskanzler Angela Merkel und Vizekanzler Guido Westerwelle werden immer größer.

© dpa

Finanzkrise: Große Koalition reloaded

Die Eurokrise und Nordrhein-Westfalen machen es möglich: In der Bundespolitik hat die SPD wieder mehr zu sagen als die FDP. Kanzlerin Merkel hat keine andere Wahl mehr.

Es war ein bemerkenswerter Auftritt von Angela Merkel am Mittwochmorgen im Bundestag. Aber auch sonst tun sich in Berlin in diesen Tagen bemerkenswerte Dinge. Eine Regierung steht Kopf. Die Bundeskanzlerin redet wieder wie in den Zeiten der großen Koalition, sie fordert die Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer und nennt den Finanzmarkt Brandbeschleuniger. Müde wirkt die Kanzlerin bei ihrem Auftritt im Bundestag und ein wenig uninspiriert. Aber ansonsten spricht sie so, als habe der alte sozialdemokratische Mitstreiter Peer Steinbrück ihr die Regierungserklärung in den Block diktiert.

Der Bundesfinanzminister kommt zwar mittlerweile von der CDU, aber auch Wolfgang Schäuble hat am Dienstagabend Unerwartetes entschieden. Er hat den Spekulanten ihr vermeintlich liebstes Spielzeug aus der Hand genommen, er hat Leerverkäufe verboten sowie den Handel mit Kreditausfallversicherungen stark eingeschränkt. So reiht sich Überraschung an Überraschung. Steuersenkungen sind von der Kanzlerin angesichts der Haushaltslage schon in der vergangenen Woche auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden. Dazu hat Merkel jene Eckpunkte zur Einführung der Kopfpauschale, die der liberale Gesundheitsminister Phillipp Rösler in dieser Woche vorstellen wollte, kassiert. Vorerst, heißt es, aber vorerst kann in Krisenzeiten lange dauern.

Börsensteuer und Fesseln für Spekulanten, Schluss mit Steuersenkungen und Abschied von der Kopfpauschale; wer hätte gedacht, dass dies im Mai 2010 das Programm einer christlich-liberalen Regierung sein würde. Der politische Kurswechsel, den die Bundesregierung angesichts der Euro-Krise und der Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vollzogen hat, ist fundamental. Tatsächlich kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, als regierte in Berlin wieder die große Koalition, als habe die SPD wieder mehr zu sagen als die FDP.

Die Kanzlerin ist eine Getriebene

Die Kanzlerin wird von den sich überstürzenden Ereignissen in Brüssel, in Düsseldorf und in Berlin getrieben, von der Euro-Krise und ihren Regierungskollegen in der EU einerseits sowie andererseits von dem Misstrauensvotum der Wähler an Rhein und Ruhr. In Brüssel konnte sich die Kanzlerin vor allem dem Drängen der EU-Länder wie Frankreich, Belgien oder Österreich nicht mehr entziehen, in der Innenpolitik muss sie wieder auf die SPD Rücksicht nehmen. Einerseits will Merkel die 148-Milliarden-Euro-Hilfen für Not leidende EU-Staaten im Parlament in einem möglichst breiten Konsens verabschieden. Andererseits hat Schwarz-Gelb im Bundesrat keine Mehrheit mehr, auch dort werden die Sozialdemokraten wieder zum Zünglein an der Waage. Wenn die Regierung ihren Sparkurs durchsetzen will und den Haushalt tatsächlich konsolidieren will, dann braucht sie in den kommenden Monaten die größte Oppositionspartei.

Die Frage ist, wie lange geht das gut? Wie lange kann die Kanzlerin mit Guido Westerwelle regieren und so reden wie Peer Steinbrück. Wie lange kann eine schwarz-gelbe Kanzlerin eine Politik machen, die den Sozialdemokraten zur Ehre gereichen würde?

Die CDU-Basis wird bereits unruhig. Die schwarzen Landesfürsten versuchen, die Kanzlerin unter Druck zu setzen. Doch damit verfestigt sich in der Öffentlichkeit lediglich der Eindruck, Merkel werde nicht nur von Brüssel und der SPD, sondern zusätzlich auch noch von der eigenen Partei getrieben. Politische oder personelle Alternativen haben die christdemokratischen Merkel-Kritiker nicht zu bieten. Sie werden also mit dieser Kanzlerin weiter leben müssen.

Auch in der FDP brodelt es. Doch was sollen die Liberalen tun? Beleidigt sein, gegen Merkel sticheln, das Rettungspaket ablehnen, die Koalitionsfrage stellen?  Das alles würde die Lage der FDP und die Aussichten dieser Regierung nur noch schlimmer machen. Solange Guido Westerwelle nicht wieder Oppositionsführer werden will, bleibt den Liberalen somit nichts anderes übrig, als ihre Fäuste in der Hosentasche zu ballen und öffentlich gute Miene zu Merkels sozialdemokratischen Spiel zu machen.

Merkel hat nur noch diesen Weg. Nicht für Europa ist der Rettungsschirm alternativlos, aber für die Kanzlerin mittlerweile schon. „Scheitert der Euro, dann scheitert auch Europa“, hat diese am Morgen im Bundestag erklärt. Doch auch den nächsten Satz, den Merkel nicht mehr gesagt hat, haben im hohen Haus alle gehört: Scheitert dieses Rettungspaket und damit die Rettung des Euros, dann wäre auch die schwarz-gelbe Bundesregierung gescheitert und dann wären Merkels Tage als Kanzlerin gezählt.

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