zum Hauptinhalt

Meinung: Fischer im Kreuzfeuer: Als die Israelis zu Nazis erklärt wurden

Lassen wir die Frage, ob und wie lange Joschka Fischer vor 32 Jahren Koffer mit antiisraelischen Resolutionen durch Algier getragen hat, mal beiseite. Schweigen wir einen Moment lang von der mörderischen Frage, wer mit wem frühstückte.

Lassen wir die Frage, ob und wie lange Joschka Fischer vor 32 Jahren Koffer mit antiisraelischen Resolutionen durch Algier getragen hat, mal beiseite. Schweigen wir einen Moment lang von der mörderischen Frage, wer mit wem frühstückte. Reden wir, ausnahmsweise mal, von Geschichte, von blinden Flecken im Nachkriegsdeutschland, von linken Irrtümern und Korrekturen. Reden wir, am Ende, vom Erwachsenwerden.

Die Nachkriegslinke war durch und durch pro-israelisch. Bis 1967, als Israel Westbank, Gaza und Ostjerusalem eroberte. Innerhalb von ein paar Wochen kollabierten ganze Weltbilder. Der jüdische Staat verkörperte für viele in der Neuen Linken fortan den bad guy, die palästinensische Fatah, die vorher als hinterwälderische Nationalisten gegolten hatten, rückten in der Sympathieskala nach ganz oben, an die Seite des Vietcong. Eine Wende mit bizarren Folgen. Die Revolte, die sich gegen das Schweigen der Eltern über die Nazizeit richtete, trat in die Fußstapfen jener Eltern. Der Antizionismus der Linken in den 70ern war von Antisemitismus manchmal kaum zu unterscheiden. K-Gruppen faselten vom "Weltzionismus" und der "Pflasterstrand" schrieb noch 1978: "Die Existenz des Staates Israel ist eine Gefahr für alle Menschen im gesamten Nahen Osten."

Die Revolte, die sich auch gegen deutsche Geschichtsvergessenheit formiert hatte, stieg selbst aus der Geschichte aus und wickelte sich trotzig ein Palästinensertuch um den Hals. Die Einsicht, dass Deutsche die Existenz Israels verteidigen müssen und dass in Nahost zwei legitime Ansprüche aufeinander prallen, verdampfte in wenigenWochen. An ihre Stelle rückte ein abstrakter Antiimperialismus, in dem Juden als Imperialisten und Palästinenser als Kolonisierte auftraten. USA und Israel waren nun die Bösen, Arafat ein Held. Aber wie kam es zu dieser linken Wende? Der Auslöser war eine richtige Beobachtung: Die deutschen Konservativen entdeckten 1967 ihr Herz für Israel. Das Bild des siegreichen, tatkräftigen "new jew" war ein dankbares Identifikationsangebot, Impuls für eine äußerst zwiespältige Vergangenheitsbewältigung. In die Rolle des ewigen Bösen war für die Rechten der Weltkommunismus geschlüpft, das Jüdische war als Feindbild im Kalten Krieg entbehrlich geworden. Via Identifikation mit den USA ließ sich sogar Israel etwas abgewinnen. Die Journalistin Ulrike Meinhof schrieb 1967: "Die Bild-Zeitung gewann in Sinai endlich nach 25 Jahren doch noch die Schlacht von Stalingrad. Nicht die Erkenntnis der Menschlichkeit der Juden, ihr Blitzkrieg führte zu fragwürdiger Versöhnung."

Diese Beschreibung war richtig, die Schlussfolgerung ganz falsch: Wenn Springer für Dayan ist, sind wir dagegen. Wenn die Rechte philosemitisch wird, werden wir antizionistisch. So begann schon 1967 die neulinke Identitätspolitik. Wo politische Analyse hätte sein müssen, entstand ein Weltbild, dass nach dem eigenen Gefühlshaushalt modelliert wurde. Das Politische, die Fähigkeit zu unterscheiden, blieb dabei auf der Strecke. Der neulinke Antizionismus war nicht mehr als eine abhängige Reaktion auf die offizielle bundesdeutsche Politik, die in den 60er zusehends pro-israelisch geworden war. Einmal beschritten führte dieser Weg, in grausamer deutscher Konsequenz, weiter bis hin zu dem Lob Ulrike Meinhofs für den Terrormord an israelischen Sportlern 1972, und bis zur Selektion jüdischer Flugzeug-Passagiere in Entebbe 1977.

K-Gruppen faselten vom Weltzionismus

Die Israelfeindschaft deutscher Linker ist nur zu verstehen, wenn man sie als Facette im Spiegelkabinett postfaschistischer Befindlichkeiten begreift, als Teil des endlosen deutschen Projektionsspiels um Schuld und Sühne, Vermeidungsverhalten und Entlastungen. Die Neue Linke behauptete zwar mit viel Trommelwirbel von sich, dass sie aus der postfaschistischen Republik ausgestiegen war - in Wahrheit verkörperte sie brav immer nur die andere Seite des Offiziellen. Sie spielte die Rolle des Trotzkopfes vom Dienst, als ewiges Anti. Sie verkörperte, wie Jan Phillip Reemtsma schrieb, die andere Seite der bundesdeutschen Ambivalenz im Verhältnis zu den USA und Israel.

Die Post-68er-Linke hat sich in den 80ern und 90ern mühsam und langsam von ihrem antizionistischen Irrtum befreit. Zentrale Daten waren der Libanonkrieg 1982 und der Golfkrieg 1990. 1982 blühte die Israel-gleich-Nazis-Rhetorik, die "taz" entdeckte in den Massakern in den Palästinenser-Lagern in Beirut einen "umgekehrten Holocaust". In solchen Metaphern wurde die deutsche Vergangenheit mit neuen Rollen nachgespielt: Die Israelis wurden als Nazis kostümiert, die Kinder der Täter machten die Kinder der Opfer zu Tätern. Allerdings waren diese unverhüllte Schulddelegation Anlass für eine weitreichende, kritische Revision des linken Israel-Bildes. Den letzten handfesten Eklat produzierte Hans-Christian Ströbele 1990 in Israel. Irakische Scud-Raketen bedrohten das Land, Ströbele fiel nichts Besseres ein, als im antizionistisch gefärbten Ton Israel auf eigene Schuldanteile hinzuweisen.

Die deutsche Linke hat in Bezug auf Israel furchtbare (wenn auch folgenlose) Fehler gemacht. Doch mit retrospektiver Besserwisserei feiert man auch hier vor allem sich selbst im Stande gehobener Erkenntnis. Diese Irrungen und Wirrungen der Linken waren Ausdruck postfaschistischer Neurosen, Teil eines bundesdeutschen Selbsterklärungsprozesses. Sie waren, anders gesagt, wohl unvermeidlich. Und heute? Die (Ex-) Linke ist, wenn man will, in dieser Frage erwachsen geworden. Seit Ströbeles Fehltritt ist klar, dass Kritik an Israel als Fundament grundsätzliche Solidarität braucht. Aus dem Bewusstsein eigener Fehler ist langsam ein linksliberaler common sense gewachsen, der die frühere identifikatorisch aufgeladene Hitzigkeit durch Augenmaß ersetzt hat. Der Ton ist nüchterner geworden, pragmatisch halt, wie sonst alles andere auch. Ein Lernprozess mit glücklichem Ausgang. Der Wandel der linken Position hat sich in der Nahostfrage kaum machtgestützt vollzogen, nicht als zerknirschte Einsicht ins Machbare, nicht indem Jugendideale politischer Opportunität geopfert wurden, sondern in einem schrillen Für und Wider, im Schlagabtausch steiler Thesen. Gewiss, auch anderes spielte dabei eine Rolle.

Die Palästina-Bewegung nahm das Schicksal vieler Soli-Bewegungen, die das Ende der Befreiungsträume nicht überlebten. Doch die Neue Linke hat ihre blinden Flecken in Sachen Israel auch selbst aufgehellt. Sie hat den Ausstieg aus der deutschen Geschichte, der 1967 begann, wieder rückgängig gemacht. Ein Prozess, der durch die Historisierung des Nationalsozialismus in den 90ern sogar beflügelt wurde. Denn in dem Maße, in dem Prägekraft der Vergangenheit verblasste, schwand die Sucht den Nahost-Konflikt als Spielplatz eigener Identitätssuche zu benutzen. Das Rollenspiel ist vorbei.

Stefan Reinecke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false