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Meinung: Fischers gesammeltes Schweigen

Die Koalition streitet, die Grünen mucken auf – nur einer hat sich abgemeldet

Von Hans Monath

Vermisst wird ein mittelgroßer, meist in dreiteilige Anzüge gekleideter Mann mit grauem Haar und Halbbrille. Zur Zeit ist er unterwegs in Richtung Warschau, Kabul, Petersberg oder Brüssel. Doch gebraucht wird er woanders: Der Kanzler steht in der Kritik, die Regierung ist ohne Ziel. Die Koalition streitet um Stillstand und Reformen. Und die Grünen sehen mit Bangen einem Parteitag entgegen, der sie am Wochenende in ein Führungschaos stürzen kann. Nur einer scheint für die Malaise gar keine Verantwortung zu tragen und sich aus dem innenpolitischen Geschäft gänzlich zurückgezogen zu haben: Wo eigentlich ist Joschka Fischer?

Im Streit über Steuern und Staatsaufgaben ist ein Rückblick nützlich: Der Vizekanzler ist das erste Regierungsmitglied, das öffentlich höhere Staatseinnahmen gefordert hat. Einen Monat nach den Terror-Anschlägen auf die USA im vergangenen Jahr erklärte Fischer im Bundestag, die außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen bedeuteten neue finanzielle Belastungen und seien mit dem „Niedrigsteuerstaat" nicht vereinbar. Er stellte die Sparpolitik in Frage, damals noch ein Markenzeichen des Kabinetts.War dies nun ein Gedankenblitz unter dem Eindruck mächtiger Ereignisse oder kam da eine Grundkonstante im Denken Fischers zum Vorschein? Auch im Bundestagswahlkampf hat der ehemalige hessische Landesminister sehr sozialdemokratische Töne angeschlagen und sich sogar für die ungeliebten Gesamtschulen stark gemacht.

Unklarheit auch in der Rentenfrage, in der einige Grüne harte Worte finden: Als seine Partei die Verhandlungen mit der SPD darüber verlor, war der Minister nicht im Lande. Öffentlich aber hat er auch danach im Streit zwischen Verteilungs- und Generationengerechtigkeit keine Position bezogen. Das tat er nur in der Fraktion, wo er gegenüber den aufmüpfigen jungen und alten Dissidenten laut wurde. Es ist verständlich, dass die Angst vor der Großen Koalition einen Politiker zu mildem Umgang mit dem größeren, angeschlagenen Partner treibt. Aber sollte es bis zum Verstummen führen?

Inzwischen schweigt Fischer auch schon auf seinem eigenen Feld: Wo ist der Außenminister im Streit um die Lieferung des Fuchs-Transportpanzers nach Israel? Natürlich dürfen sich die Mitglieder des Bundessicherheitsrats nicht festlegen. Aber der eloquente Außenminister sollte in der Lage sein, die Argumente zu gewichten, die gegeneinander stehen: auf der einen Seite das Hilfsangebot, auf der anderen Seite die strengen Rüstungsexportrichtlinien. Es geht nicht darum, Geheimnisse zu verraten. Die Anfrage aus Tel Aviv aber hat einen Grundsatzstreit provoziert. Der Außenminister, dem doch das Verhältnis zu Israel am Herzen liegt, müsste die Entscheidung der Regierung erklären – Fehlanzeige.

Und was sagt Fischer zu den Querelen in seiner Partei? Fischer saß auf dem Podium des Bremer Parteitags, als die Führung abgestraft wurde. Stellung bezogen zu dem existenzbedrohenden Konflikt aber hat er öffentlich nicht. Manche Grüne warnen vor unkontrollierbaren Entscheidungen des „informellen Vorsitzenden". Gewinnt er an Vertrauen, wenn er sich zurückzieht und so den Raum für Spekulationen noch größer macht?

Die Grünen können wohl darauf hoffen, dass sich ihr stärkster Politiker bei dem Parteitag am Wochenende ins Zeug legt und angreifbar macht. Aber werden auch einfache Bürger vor den Landtagswahlen im Februar vom Vizekanzler noch eine Auskunft bekommen, in welche Richtung der Außenminister steuert? Heute bei der Aussprache zu seinem Haushalt tritt er im Bundestag auf: Joschka Fischer, melden Sie sich!

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