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Meinung: Flicken für Libanons Teppich

Kräftemessen unter Zedern: Fuad Siniora sollte den prosyrischen Kräften mehr bieten

Die Libanesen stehen an einem Wendepunkt. Beide Lager haben bewiesen, dass sie friedliche Massendemonstrationen organisieren können. Es ist in der arabischen Welt ein bisher unbekanntes Phänomen, dass Bürger massiv und friedlich mit politischen Forderungen auf die Straße gehen können. Beide Seiten treten unter der libanesischen Flagge und im Namen der Demokratie an. Das zeugt von politischer Reife.

Doch das Kräftemessen auf der Straße ist nun ausgereizt. Je länger das Patt andauert, desto größer ist die Gefahr, dass Gewalt ins Spiel kommt. Die Scharmützel zwischen Anhängern beider Lager der vergangenen Tage, bei denen ein Schiit getötet wurde, lassen das Gespenst des Bürgerkrieges wieder aufleben. Gewalt oder der Sturz der Regierung von Fuad Siniora hätten weit reichende Folgen für Libanon und die Region – aber auch für den Rest der Welt, der hier mit etwa 10 000 Unifil-Soldaten vertreten ist.

Da die Demonstrationen der Hisbollah bereits das Ergebnis erfolgloser Verhandlungen mit der Regierung Siniora sind, ist schwer abzusehen, wie eine Lösung aussehen könnte. Eine Sperrminorität für Hisbollah und Verbündete lehnt Siniora ab. Die Entscheidung über das UN-Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Ex-Premier Rafik Hariri peitscht er in fast provozierender Weise durch. Hisbollah, Amal und der Christenführer Michel Aoun wollen ihre Aktionen fortsetzen, bis die Regierung zurücktritt.

Das Treffen zwischen Amin Gemayel, dem Vater des ermordeten Industrieministers, und Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah ist zwar positiv, aber bisher ergebnislos. Auch die Armada von Vermittlern – der Generalsekretär der Arabischen Liga, der jordanische Außenminister oder saudische Emissäre – wird erfolglos bleiben, wenn nicht endlich konkrete politische Streitpunkte auf den Tisch kommen. Doch genau das ist das Problem: Es geht nicht um Details des UN-Tribunals im Mordfall Hariri. Vielmehr ist das politische System Libanons, das angesichts der Bevölkerungsentwicklung mittlerweile auf einem imaginären religiösen Proporz gebaut ist, am Ende. Ein neues Wahlsystem muss her, das die Kräfte in Parlament und Regierung gerechter repräsentiert. Eine nationale Debatte über die Ausrichtung der libanesischen Politik mit ihren starken regionalen Verbindungen. Ein neuer Konsens, der über die konfessionelle Verteilung der Macht hinausgeht. Angesichts dieser fast unlösbaren Aufgaben haben die politischen Führer, mit Ausnahme Sinioras, bisher wenig politische Reife gezeigt. Beide Seiten versuchen, Gegner zu diskreditieren, indem sie ihnen vorwerfen, sie würden im Dienste ausländischer Mächte agieren. Wie zur Bestätigung geben die Europäer und die USA der Regierung politische Rückendeckung, während Syrien sich hinter die Kräfte stellt, welche Siniora stürzen wollen.

Doch die grundsätzlichen Streitfragen können weder auf der Straße noch über Nacht geklärt werden. Dazu braucht es einen mühsamen politischen Dialog, an den die nach dem Krieg gegen Israel gestärkte Hisbollah nicht zu glauben scheint. Anscheinend ist der einzige Anreiz eine stärkere Vertretung in der Regierung. Um Schlimmeres zu verhüten, muss Siniora sich hier vielleicht gesprächsbereit geben – auch wenn er damit undemokratisches Verhalten belohnt. Um des Konsenses willen, ohne den der Libanon zerfällt.

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