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Meinung: Flüchtig und überall

WAS WISSEN SCHAFFT Der Missbrauch von Pflanzenschutzmitteln ist so schwer nachzuweisen, weil diese Gifte überall enthalten sind: Ihre Rückstände finden sich regelmäßig in etwa einem Viertel aller Gemüse und Fische, einem Drittel der Getreideprodukte und über der Hälfte der zum Verzehr vorgesehenen Früchte. Fast immer liegt die Konzentration der Pestizide unterhalb der zugelassenen Höchstwerte – Chemikalien aus der Landwirtschaft gehören seit langem zu unserem Speiseplan wie das täglich Brot.

WAS WISSEN SCHAFFT

Der Missbrauch von Pflanzenschutzmitteln ist so schwer nachzuweisen, weil diese Gifte überall enthalten sind: Ihre Rückstände finden sich regelmäßig in etwa einem Viertel aller Gemüse und Fische, einem Drittel der Getreideprodukte und über der Hälfte der zum Verzehr vorgesehenen Früchte. Fast immer liegt die Konzentration der Pestizide unterhalb der zugelassenen Höchstwerte – Chemikalien aus der Landwirtschaft gehören seit langem zu unserem Speiseplan wie das täglich Brot.

Mit Holzhammer-Giften der 60er Jahre wie dem berüchtigten Insektenkiller DDT ist das jedoch nicht zu vergleichen. Diese Pestizide waren besonders gefährlich, weil sie nur sehr langsam abgebaut werden und sich im Fettgewebe anreichern – bis heute werden Spuren von DDT, das in der Bundesrepublik seit 30 Jahren verboten ist, in Nahrungsmitteln und Muttermilch nachgewiesen.

Im Gegensatz dazu wird das jetzt in Geflügelfleisch und Getreide gefundene Nitrofen durch Licht oder Bakterien schnell zersetzt: Auf dem Feld ist das Pestizid bereits nach zwei Monaten zu 99 Prozent abgebaut, in der Nahrungskette kann es sich nur geringfügig anreichern. Das Sonnenlicht ist auch für die gewünschte Wirkung als Herbizid (Unkrautvernichter) verantwortlich: Nitrofen verhindert die Bildung des grünen Blattfarbstoffes Chlorophyll, der Licht in biologisch verwertbare Energie umwandelt und die Pflanze dadurch auch vor dessen zerstörerischer Wirkung schützt. Durch dieses „Photobleichen“ verliert das Unkraut seine grüne Farbe und stirbt ab, zugleich wird das Nitrofen an Ort und Stelle zerstört. Trotzdem ist die Aufregung um die Nitrofen-Funde berechtigt. Die Chemikalie wurde trotz ihrer relativ guten Umweltverträglichkeit verboten, weil sie bei Versuchsmäusen Leberkrebs verursacht, sowie zu Missbildungen und Wachstumsstörungen beim Nachwuchs führt.

Zwölf Jahre nach dem deutschlandweiten Verbot ist das kurzlebige Nitrofen – im Gegensatz zu zahlreichen anderen ausgemusterten Pestiziden – praktisch nirgends mehr nachweisbar. Gerade diese Besonderheit ist es, die das Versagen der Lebensmittel-Kontrollen so unverzeihlich macht: Bereits der erste Nachweis Anfang März hätte die zuständige Behörde alarmieren müssen.

Warum die Entdeckung eines längst verschwundenen Agrochemie-Fossils in deutschen Nahrungsmitteln als „lokaler Fall“ bewertet und nicht an das Ministerium gemeldet wurde, wird wohl das Geheimnis des Untersuchungsamtes bleiben.

Immerhin haben die strengen Auflagen für Bio-Lebensmittel dazu beigetragen, dass das Nitrofen überhaupt entdeckt und sein Weg von einem brandenburgischen Landwirtschaftsbetrieb über einen niedersächsischen Futtermittelhändler zu mehr als hundert Geflügelfarmen zurückverfolgt werden konnte.

Jetzt muss die Öko-Wirtschaft jedoch beweisen, dass ihre selbst auferlegten Kontrollmechanismen ihr Geld auch wert sind: Nur wenn die Quelle des verbotenen Pestizids schnell identifiziert und eine Wiederholung des Vorfalls glaubhaft ausgeschlossen wird, hat der ökologische Umbau der Landwirtschaft seine erste Nagelprobe bestanden.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Mikrobiologie an der Universität Halle. Foto: J. Peyer

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