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Flüchtlinge in Berlin: Deutschland muss endlich humanitäre Antworten finden

Flüchtlinge ertrinken weiterhin im Mittelmeer, aber sie sterben nicht am Brandenburger Tor. Die Berliner Asylsuchenden haben ihren Hungerstreik vorerst abgebrochen. Darf man darüber erleichtert sein?

Darf sich Deutschland so erpressen lassen? Eine Woche lang haben ein paar Dutzend Flüchtlinge den Hauptplatz der Hauptstadt besetzt gehalten. Sie haben gehungert und gedurstet bis an körperliche und politisch-rechtliche Schmerzgrenzen, um zu erreichen, dass ihre Anträge auf Asyl endlich bearbeitet und anerkannt werden. Am Wochenende nun gab es Verhandlungen mit Politikern, gab es Zugeständnisse, die das Gesetz eigentlich nicht vorsieht, gab es eine Lösung ohne gewaltsame Räumung, ohne öffentliches Sterben im Berliner Stadtzentrum. Flüchtlinge ertrinken weiterhin im Mittelmeer, aber sie verhungern nicht am Brandenburger Tor. Darf man darüber erleichtert sein?

Deutschland darf sich vor allem selbst befragen. Warum gingen nur Politiker auf die Flüchtlinge zu, die eigentlich gar nicht so recht autorisiert waren? Warum haben sich weder die Bundesregierung noch die Spitzen des Berliner Senats für die Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens streikten, wirklich interessiert? Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Innensenator Frank Henkel haben jedenfalls nicht mal privates Mitleid mit dem Leiden der Menschen öffentlich erkennen lassen. Und die Bundesspitzen von CDU/CSU und SPD bildeten schon mal die große Koalition der Wegseher.

Es ist diese fehlende Empathie, die es Deutschland so schwer macht, einen richtigen Umgang mit Menschen in Flüchtlingsnot und den Mechanismen, die diese Not verstärken, zu finden. Eigentlich ist es ein großes Thema unserer Zeit – von Kreuzberg über Brüssel bis Lampedusa.

Deutschland darf sich nicht erpressen lassen, natürlich nicht. Auch die Asylanträge der Protestierer vom Brandenburger Tor und vom Oranienplatz gehören nach Recht und Gesetz geprüft und in begründeten Fällen auch abgelehnt – sonst droht umgehend der nächste Hungerstreik.

Aber warum müssen Menschen drei Jahre lang darauf warten, einen amtlichen Bescheid über ihr zukünftiges Leben zu erhalten? Warum dürfen sie in der Wartezeit nicht einmal kurz die Wohnorte verlassen, die ihnen zugeteilt worden sind? Warum sollen sie in dieser Zeit nicht intensiv Deutsch lernen, warum dürfen sie nicht arbeiten? Hier muss sich Deutschland endlich selbst befragen und zu humanitären Antworten finden. Dann darf man erleichtert sein.

Die gefundenen Kompromisse vom Brandenburger Tor und auch am Oranienplatz, wo die seit einem Jahr campierenden Flüchtlinge bald eine feste Unterkunft bekommen sollen, zeigen die Möglichkeiten von ausgewogener und bundespolitisch bedeutsamer Stadtpolitik auf. Hier werden Plätze nicht radikal geräumt wie in München, hier wird Bedürftigen aber auch nicht eingeredet, sie könnten mit dramatischen Protesten ihr Asylverfahren außer Kraft setzen – wie es manche linke Unterstützergruppen den Verzweifelten vorgaukeln. Auf dem Hauptplatz der Hauptstadt wurde doch noch eine Schmerzgrenze im Umgang mit der Flüchtlingsnot sichtbar. Nach einer zu langen Woche still stehender Öffentlichkeit.

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