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CSU-Chef Horst Seehofer (links) und Ungarn Ministerpräsident Viktor Orban kritisieren bei einer Pressekonferenz im Kloster Banz die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.

© AFP

Flüchtlingskrise: Brücken statt Deiche

Viktor Orban und Horst Seehofer glauben offenbar, Europa sei eine Insel. Das ist eine Illusion. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde. Erst verlangt Bayerns Ministerpräsident von der Bundeskanzlerin in der Asylpolitik ein Bekenntnis zu Recht und Ordnung – eine wohlfeile Fensterforderung, wie selbstbewusste Demokraten sie von oben herab an Diktaturen adressieren. Dann bescheinigt derselbe süddeutsche Regierungschef Ungarns Premier, er habe Unterstützung und nicht Kritik verdient. Und der bedankt sich für die Münchner Unterstützung, indem er Deutschland – und meint damit tatsächlich Angela Merkel – moralischen Imperialismus vorwirft. Und natürlich widerspricht Horst Seehofer Viktor Orban nicht.

Von einem ausschließlichen „Merkel-Effekt“ zu sprechen, ist falsch

Fassen wir zusammen: Unmittelbar vor dem Europäischen Flüchtlingsgipfel gibt ein führender CSU-Politiker der CDU-Vorsitzenden die Schuld an der starken Zunahme der Zahl der Bürgerkriegsflüchtlinge und hofiert einen Regierungschef, der im Umgang mit Flüchtlingen, vorsichtig formuliert, nicht sehr fein ist. Zudem stimmt Seehofers Deutung des Geschehenen nicht einmal. Angela Merkel hat am 21. August die Dublin-Regelung, wonach Flüchtlinge im ersten EU- Land registriert werden müssen, das sie betreten, nicht leichtfertig ausgesetzt – die Bundesregierung war von den völlig überforderten Innenministern der Länder dringend um eine solche Maßnahme gebeten worden, weil die Polizei von den Flüchtlingen schlicht überrannt wurde. Dass der als interne Behördenweisung gedachte vorläufige Verzicht auf Registrierung dann am 25. August durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit kam, kann man Merkel nicht anlasten. Dass daraufhin die Zahl der Flüchtlinge rapide anstieg, ist richtig. Aber extrem hoch war sie auch davor. Von einem ausschließlichen „Merkel-Effekt“ zu sprechen, ist also falsch.

Die EU muss eine internationale Syrien-Konferenz initiieren

Das ändert nichts daran, dass auf europäischer Ebene geschehen muss, was die langjährige Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John, schon vor Wochen in dieser Zeitung forderte: Deutschland muss den Umfang der Unterstützung reduzieren. Ein einheitlicher europäischer Umgang mit Flüchtlingen kann nicht bedeuten, dass die Leistungen aller Länder auf deutsches Niveau stark ansteigen, sondern dass Deutschland seinerseits Leistungen reduziert. Das gefährdet nicht das grundgesetzlich garantierte Asylrecht. Es beseitigt nur den Anreiz, dieses Asyl in keinem anderen europäischen Land als Deutschland zu suchen. Wenn die EU will, dass die Zahl der Flüchtlinge wieder zurückgeht, muss sie dem Flüchtlingshilfswerk der UN mit Milliardengeldern helfen – und zwar sofort. Die EU muss außerdem die Türkei finanziell bei ihrer herausragenden Hilfe für hunderttausende von Flüchtlingen unterstützen – jetzt. Europa muss Aufnahmezentren in der Region schaffen und die politische und wirtschaftliche Stabilität in den Fluchtstaaten fördern – umgehend. Und die EU muss eine internationale Syrien-Konferenz initiieren, unter Einbeziehung jener ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, die dazu bereit sind. Bei der Vermittlung im Atomkonflikt mit Iran hat Deutschland gezeigt, was alles möglich ist.

Mögen Seehofer und Orban glauben, Europa sei eine Insel – wir sind nicht umgeben von Meer, sondern von Menschen. Wir brauchen keine Deiche, sondern Brücken der Hilfe.

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