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Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama in Washington im April 2010.

© dpa

Folgen der Enthaltung: Deutsche Draußenpolitik

Ein Deutschland, das Partner in der Führung der westlichen Welt sein soll, darf dann nicht abseits stehen, wenn sich eine Koalition des Anstands bildet. In prinzipiellen Fragen gibt es keine Enthaltung. Ein Kommentar.

Wenn irgendjemand – auf den wir noch zu sprechen kommen – geglaubt haben sollte, die deutsche Enthaltung zum Libyeneinsatz im Weltsicherheitsrat hätte keine Folgen, der muss jetzt eines Besseren belehrt sein. Wenn irgendjemand – und auf die kommen wir noch zu sprechen – geglaubt haben sollte, mit Telefonaten in alle Welt und freundlichen Worten seien die Verbündeten, voran die Amerikaner, eines Besseren von der deutschen Haltung belehrt, der und die wissen jetzt, dass das ein Irrtum ist. Und was für einer. Wer jetzt, nach dem Nato-Treffen und dem Besuch der amerikanischen Außenministerin in Berlin, sagt, es sei alles in Ordnung, lügt.

Partner in der Führung der westlichen Welt werden wir Deutsche so nicht. Das, was George Bush der Ältere einmal als Verheißung aufbaute, nachdem eine schwarz-gelbe Regierung sich als der historischen Herausforderung vollständig gewachsen erwiesen hatte, gilt für diese schwarz-gelbe Regierung zu Zeiten Barack Obamas nicht. Denn was dessen Außenministerin jetzt als Maßstab der USA für einen solchen Partner errichtete, erfüllt Deutschland nicht.

Amerika braucht Partner, sagte Hillary Clinton, und das schloss an die Rede Obamas in Berlin an der Siegessäule an, damals, als er noch Kandidat war. Die Bundeskanzlerin und ihr heutiger Außenminister hätten es wissen können, spätestens nach ein paar Monaten mit ihm als Präsidenten wissen müssen, dass das nicht nur Wahlkampf war, sondern bewusst an diesem Ort ausgesprochener Bestandteil dessen, was sich im besten Fall zu einer Doktrin entwickeln kann: Amerika handelt nicht allein, sucht Partner, braucht Partner, wenn die Welt tatsächlich durch gemeinsame Anstrengungen der Demokraten ein besserer Ort werden soll. Make the World a Better Place – da ist Musik drin.

Deutschland ist nicht irgendjemand, eigentlich. Deutschland ist die wichtigste Macht Kontinentaleuropas, wirtschaftlich gesehen, aber auch bedeutsam als Orientierungsmacht in der Europäischen Union. Jedenfalls galt das bisher, nach der alles in allem glücklich und klug gesteuerten Vereinigung. Nur wandelt sich das gerade, und die deutsche Regierung ist dafür verantwortlich. Außenministerin Clinton hat das klargemacht. Ein neues Verhältnis aufzubauen mit Vertrauen als Fundament, mit Freundschaft und gemeinsamen Ansichten und strategischen Zielen, darum ging es nach dem Fall der Mauer; ein neues Verhältnis zu einem neuen Deutschland, das frei ist und sich seiner Geschichte bewusst.

Die hohen Kosten des Wegschauens, die Clinton ansprach, gehören dazu. Die Notwendigkeit, prinzipientreu einzugreifen, und sei es riskant, auf die Clinton hinwies. Die Verantwortung, Massaker und Genozide nicht zuzulassen, die Clinton in den Satz fasste, dass die Welt im libyschen Bengasi kein zweites Srebrenica zulassen durfte. Srebrenica, das Schlagwort für langes europäisches Wegschauen.

Ein Deutschland, das Partner in der Führung der westlichen Welt sein soll, darf dann nicht abseits stehen, wenn sich eine Koalition des Anstands bildet, so schnell wie nie. Da ist Enthaltung keine Haltung – und das ist die tiefere Botschaft, die ans Fundament reichende, der Rede der amerikanischen Außenministerin in der American Academy in Berlin. In prinzipiellen Fragen gibt es keine Enthaltung. Wer eine solche Koalition führen will, muss sie anführen; wer in der Westgemeinschaft für Werte stehen will, muss für sie einstehen.

Wenn die Bundeskanzlerin glauben sollte, ihre Haltung werde bei den USA Verständnis finden, dann irrt sie. Nicht alles ist Taktik, und ihre Koalition daheim ist den USA in weltpolitischen Fragen einerlei. Wenn Angela Merkel glauben sollte, der Fehler ließe sich durch nacheilende Hilfeleistung schnell heilen, dann irrt sie. Diese Hilfe kann die Koalition, auf die es ankommt, notfalls auch woanders bekommen. Wenn Bundeskanzlerin Merkel nicht durch Handeln zeigt, dass sie verstanden hat, wo der Fehler entstanden ist, dann hat das auch in Europa längerfristige Auswirkungen auf ihre Koalition. Der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland darf nicht irgendjemand sein.

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