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Fortschritt: Integrationsvertrag kann mehr

Der Integrationsvertrag ist ein Fortschritt – wenn die Politik ihn ernst nimmt. Die Koalition hat angekündigt, mit dem Vertrag vor allem die Integration jener Gruppe in den Griff kriegen zu wollen, die Thilo Sarrazin volksnah als nachgelieferte Bräute charakterisierte. Bliebe es dabei, wäre der Vertrag eine verschenkte Chance.

Gelobst du? Ich gelobe. Wirst du geben? Ich werde geben. Verbürgst du dich? Ich verbürge mich. Man benutzte nicht nur dieselbe Sprache, sondern auch dieselben Worte: Die Stipulation, das römische Schuldversprechen, war der Vorläufer moderner Verträge, deren wesentlichstes Merkmal ebenfalls die Lateiner prägten: do ut des, ich gebe, damit du gibst.

Seitdem werden mit Verträgen Menschen verheiratet, Milliarden verdient, Schäden beglichen, Krisen abgewendet, Staaten verbunden und Kriege beendet. Und jetzt, nach Jahrtausenden erfolgreicher Vertragsgeschichte, gibt es einen neuen Vertrag für ein recht altes Problem: den Integrationsvertrag. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, stellt ihr aus Frankreich entliehenes Projekt gerade vor. Bleibt die Frage: Warum ist man darauf nicht früher gekommen?

Die Passagen im Koalitionsvertrag dazu, wie Nichtdeutsche in Deutschland heimisch werden sollen, lesen sich, als ob die Politik dort angekommen wäre, wo viele Bürger noch nicht sind. Denn für gelingende Integration braucht es immer zwei, beide wollen Unterschiedliches voneinander, aber sie eint ihr Ziel. Man sollte diese Erkenntnis nicht gering schätzen, die Haltung, wer hierherkomme, habe sich anzupassen – und zwar ohne jede Gegenleistung –, findet sich in politisch temperierteren Ausdrücken quer durch Volk und Vertreter im Bundestag. Ein Vertrag aber verpflichtet immer beide Seiten. Er sagt beiden, was zu tun ist. Und beide müssen sich daran halten.

Das ist ein sinnvolles Konzept, das sich nun erst zwei Problemen, und dann der Wirklichkeit stellen muss. Das erste Problem sind die berechtigten und unberechtigten Erwartungen an das, was die Zugewanderten leisten sollen. Darf man von ihnen mehr deutsche Kenntnisse und Bekenntnisse verlangen als von Deutschen selbst? Gemessen am Prinzip des Vertrags wird man die Frage wohl bejahen dürfen. Wer hier leben will, wählt sich Deutschland als Heimat aus. Wer hier geboren wird, nicht. Als Folge daraus relativieren sich aber auch die Anforderungen an die Einwanderer zweiter und dritter Generation. Der Integrationsvertrag darf nicht zu einer verkappten nachträglichen Auslese werden, der politische oder auch individuelle Versäumnisse an Einzelnen abstraft.

Das zweite Problem markiert eine andere Eigenschaft von Verträgen. Man ist grundsätzlich frei, sie auszuhandeln und zu schließen. Das hohe Gut der Vertragsfreiheit entfaltet jedoch immer dann eine Unwucht, wenn ungleich starke Parteien verhandeln. Einwanderung ist eine folgenreiche Lebensentscheidung, ein Schicksal. Der Staat ist demgegenüber der Starke, er wirkt daran mit, wie die Chancen vergeben werden. Also ist es an ihm, Rücksicht auf die Schwächen jedes einzelnen Partners zu nehmen.

Von welcher Art und Güte die Vertragslösung ist, wird dann erst die Praxis in den Kommunen zeigen. Die Koalition hat angekündigt, mit dem Vertrag vor allem die Integration jener Gruppe in den Griff kriegen zu wollen, die Thilo Sarrazin volksnah als nachgelieferte Bräute charakterisierte. Bliebe es dabei, wäre der Vertrag eine verschenkte Chance.

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