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Meinung: Fortschritt ist machbar

Arm ist keine Entschuldigung: Pisa zeigt, wie man mehr aus unseren Schulen machen kann

Die meisten Deutschen verbinden mit dem Wort Pisa eine schreckliche nationale Katastrophe im Bildungswesen. „Pisa lässt grüßen!“ ist inzwischen ein geläufige Wendung um auszudrücken, dass jemand extrem schwer von Kapee ist: pisageschädigt eben. In Wahrheit haben die Deutschen jeden Grund, Pisa positiv gegenüber zu stehen. Denn der Studie verdankt das Land einen enormen Erkenntnisgewinn.

Mit jeder Pisa-Runde wird klarer, wo Potenziale vergeudet werden. Alte, bequeme Ausreden, es gebe keine Defizite oder die Umstände machten Veränderungen leider unmöglich, zerbröseln unter dem Röntgenblick der Bildungs-Forscher zu Staub. Das neue Wissen über die vielen jahrzehntelangen Versäumnisse mag schmerzen. Doch das Ziel der Pisa-Prüfung ist ein anderes: Chancen sichtbar zu machen. Und davon gibt es jede Menge.

Bislang herrschte etwa die Meinung, Bayerns Schüler schnitten schon deshalb besser ab als die in Bremen, weil die sozialen, kulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen im Süden besser sind als im Norden. Mit dieser Mär räumen die Pisa-Forscher nun auf: Die sozio-ökonomischen Ungleichheiten zwischen den Bundesländern reichen nicht aus, um die Leistungsunterschiede zwischen den Schülern zu erklären. Das ist nichts anderes als eine Aufforderung an arme Regionen, mutig nach vorn zu blicken. Auch ihre Schulen können sich entwickeln.

Bei dieser Gelegenheit präsentieren die Pisa-Forscher die neuen Bundesländer als Vorbild an Engagement. Das ist eine Überraschung, jedenfalls für Westdeutsche. War nicht klar, dass die Lehrer im Osten wegen des Brain-Drains in die alten Länder, wegen der Schulschließungen und der unsicheren Arbeitsverhältnisse frustriert sein müssen? Nun kommt heraus, dass trotz aller Widrigkeiten gerade unter den ostdeutschen Pädagogen besonders viele sind, die die Ärmel aufkrempeln und die Geschicke ihrer Schulen aktiv gestalten, von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Thüringen. „Bewundernswert“, nennt das Pisa-Forscher Manfred Prenzel.

Als phlegmatisch müssen dagegen zwei Drittel der deutschen Gymnasien charakterisiert werden. Vermutlich glauben die Lehrer dort, man habe Veränderungen nicht nötig und verschleudern so kostbare Lernzeit junger Menschen. Jetzt reißt Pisa die Gymnasien aus dem Schlaf. Nicht nur hat sich herausgestellt, dass zwischen ihnen gewaltige Niveauunterschiede herrschen. Auch haben die Pisa-Forscher das Sitzenbleiben – besonders im Gymnasium eine beliebte Form der Schülerförderung – enttarnt: Als Zeitklau, der nichts bringt. Die Pädagogen werden sich etwas Neues einfallen lassen müssen. Das gilt allemal bei der Förderung der schwächsten Schüler, darunter viele Migranten, die in der deutschen Schule auf der Strecke bleiben. Hier etwas zu bewegen, ist die größte aller Herausforderungen, die erst Pisa enthüllt hat.

Noch vor wenigen Jahren hätte es eine so breite Debatte um das Schulwesen nicht gegeben. Ohne Pisa säßen die Kultusminister noch immer in ihren ideologischen Gräben, würden die Hochschulen sich nicht um eine ernst zu nehmende Bildungsforschung bemühen, würde die Wirtschaft sich nicht lautstark einmischen. Pisa hat das Tor zu einer besseren Bildungswelt aufgestoßen. Inzwischen sind schon viele Schulen dabei, hindurchzutreten: Pisa lässt grüßen!

Seiten 2, 9 und 36

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