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Papst Franziskus will nicht nur die Kirche umkrempeln.

© dpa

Franziskus: Der Papst als Gorbatschow

Papst Franziskus predigt in seinem neuen Schreiben nichts anderes als einen Umsturz. Vielleicht gibt der Vatikan sogar Kompetenzen ab. Zwar wird das Dogma der Unfehlbarkeit nicht fallen - doch der Papst könnte indirekt zeigen, dass er auch nur von dieser Welt ist.

Es war eine kleine Revolution am 4. Dezember 1963. An diesem Tag verkündete das Zweite Vatikanische Konzil einen Beschluss. Von nun an sollte der katholische Priester vorne am Altar nicht mehr unverständliche lateinische Formeln brabbeln, sondern sich nicht nur bei der Predigt, sondern auch während des Gottesdienstes seinem Kirchenvolk zuwenden und es in der jeweiligen Landessprache anreden. Die Reform der Liturgie im Zweiten Vatikanum war viel mehr als eine Veränderung von Äußerlichkeiten, sie bezeichnet einen grundlegenden Wechsel im Selbstverständnis der Geistlichkeit. Die Kirche sollte aus ihrer Weltabgeschiedenheit und dem damit verbundenen Dünkel befreit, wieder an den gläubigen Teil der Menschen herangebracht werden.

Ganz ist die Saat, die damals Papst Johannes XXIII. ausbrachte, nicht aufgegangen. Er starb schon während des Konzils, und seine Nachfolger legten keinen übertriebenen Ehrgeiz an den Tag, die Zugewandtheit der katholischen Kirche zur Welt voranzutreiben, sieht man einmal von der Vielfliegerei des Johannes Paul II. und seiner Rolle beim Zusammenbruch des Kommunismus ab. Nun aber werden wir Zeugen davon, dass dieser jahrzehntelang unterbrochene Prozess auf einmal Fahrt aufnimmt.

Was Papst Franziskus vor kurzem als Apostolisches Schreiben in die Welt geschickt hat, ist ein Regierungsprogramm, demgegenüber sich der schwarz-rote Koalitionsvertrag so interessant wie das Telefonbuch liest. Denn der römische Text predigt nichts weniger als einen Umsturz, und das mit einer Emphase, die ihresgleichen sucht. „Den Schrei der Menschen zu hören“, das sei die allererste Aufgabe des gläubigen Katholiken, „den Schrei der Armen.“ Statt einer Kirche im Widerschein von Gold und Edelsteinen wünscht er sich „eine verbeulte Kirche, verletzt und beschmutzt, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist“. Was für Sätze.

Natürlich kann man einwenden, das seien ja nur Absichtserklärungen, weiß Gott, ob da je Taten folgten. Außerdem sei auch dieser Papst bei Fragen der Priesterweihe von Frauen oder der Abtreibung so unbeweglich wie alle davor. In der Tat darf man gespannt sein, wann und ob Franziskus die „wichtigen Konsequenzen“, die er ankündigt, ziehen wird. Es ist ihm zuzutrauen, und manche glauben gar, dieser Franziskus könnte so etwas wie ein Gorbatschow des Vatikans werden. Dafür spricht, dass er bei seinen Neuerungsplänen vor dem eigenen Amt nicht Halt macht. „Da ich berufen bin, selbst zu leben, was ich von den anderen verlange, muss ich auch an eine Neuausrichtung des Papsttums denken“, schreibt er und meint damit eine Abgabe von Kompetenzen der Zentralgewalt in Rom an die nationalen Bischofskonferenzen.

Das wäre einmalig in der Geschichte des Papsttums: ein freiwilliger Verzicht auf Macht. Und es könnte in seinen Folgen unabsehbar werden: Wer bestimmt in Zukunft zum Beispiel über den Fortbestand des Zölibats? Nicht mehr der Papst? Und dann gibt es noch einen aufregenden Satz auf diesen langen 251 Seiten. „Ich glaube auch nicht, dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige oder vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muss, welche die Kirche und die Welt betreffen.“ Natürlich geht es auch in dieser Passage vor allem um Dezentralisierung, aber man fühlt sich unwillkürlich an einen der wundesten Punkte des Papsttums gemahnt, an das leidige Dogma der Unfehlbarkeit vom Juli 1870.

Zwar meinte das nur jene Fälle, in denen der Papst in Glaubens- und Sittenfragen „ex cathedra“ spricht, und nicht beliebige Äußerungen zum Weltgeschehen („Der Papst ist kein Orakel“, sagte Ratzinger/Benedikt). Außerdem wurde das Dogma bisher nur ein einziges Mal angewendet, 1950, als Pius XII. die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel dekretierte. Dennoch hat kein anderes Dogma der katholischen Kirche so viel Unverständnis und Spott eingebracht.

Vor allem deshalb, weil es ein ganz und gar politischer Schachzug war. Gegen den Verlust seiner weltlichen Macht, gegen den Zusammenbruch des Kirchenstaats, der sich genau in jenem Jahr 1870 vollzog, setzte der Papst die Überhöhung seines spirituellen Machtanspruchs. Das war allzu durchschaubar, eine so hilflose wir kuriose Geste. Niemand darf annehmen, dass Franziskus bei seiner Neubestimmung des Papsttums an dem alten Dogma rütteln wollte. Er muss es auch gar nicht. Es genügt ja, wenn er es einfach dementiert. Dadurch, dass er zeigt, dass auch der Papst von dieser Welt ist. Von einer Welt voller Irrtümer.

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