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Meinung: Frau Präsidentin

Die Nachfolgerin von Rau bräuchte eine nette Frisur

Als Hillary Clinton das Fach wechselte, und von der Präsidentengattin zur Senatorin avancierte, gab es eine vielfach gedruckte Fotostrecke von ihr. Die einen Bilder zeigten sie mit makelloser Coiffure im Weißen Haus. Die anderen mit durcheinander gewehten Haaren eilig auf dem Weg zu einem Termin – Tenor: Lässt sie sich jetzt gehen?

Zwischen Frauen und Inhalten steht, egal, um welche Jobs oder Ämter es geht, eine riesige Barriere: das Thema Aussehen. Auch wenn anfangs noch über sein Brillengestell debattiert wurde – wer hätte sich je getraut, mit Helmut Kohl darüber zu reden, welche Anzugfarbe am besten zu den Stühlen im Bundestag passt? Oder mit Helmut Schmidt? Angela Merkel tröstete sich in einem „Bunte“-Interview zwar damit, dass auch die politischen Männer zunehmend Gegenstand modischer Betrachtung werden. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Menschen bei Frauen ganz automatisch immer zuerst aufs Aussehen achten – und erst dann darauf, was sie zu sagen haben. Bei Männern ist es in der Regel noch immer umgekehrt. Sollte Angela Merkel die erste Kanzlerin werden, darf sie immerhin auf die adrenalinhaltige Luft im Politgeschäft hoffen und darauf, dass dieses Thema beim täglichen Hickhack auch mal in den Hintergrund gerät.

Die erste Bundespräsidentin wird es ungleich schwerer haben. Und das liegt nicht allein daran, dass es sich um ein repräsentatives Amt handelt und damit natürlich zu der Frage einlädt, wie wir alle im Ausland und vor Staatsgästen vertreten werden wollen. Es liegt auch daran, dass ein Staatsoberhaupt mehr Zeit braucht, Themen und Inhalte sichtbar zu machen. Das Tagesgeschäft in diesem Amt ist bei weitem nicht so geräuschvoll wie die Regierungspolitik, und soll es wohl auch nicht sein. Sogar ein erfahrener Politikprofi wie der langjährige Ministerpräsident Johannes Rau brauchte eine gewisse Anlaufphase, um beispielsweise ein starkes Engagement für die Schwachen in der Gesellschaft auf breiter Ebene als sein Thema sichtbar zu machen.

Einer Frau kann man übergangsweise so viele Fragen über die Designer ihrer Kleider stellen, über angebliche Liftings, über das unendliche Thema Frisur, dass sie es ungleich schwerer haben wird, ihre politischen Themen überhaupt durchdringen zu lassen. Diese Tendenz wird noch verstärkt durch einen aktuellen Trend: Die mit „Human Touch“ befassten bunten Blätter greifen neuerdings nicht mehr so gern in die Luderkiste, um den notwendigen Nachwuchs zu rekrutieren. Lieber bedienen sich im Politikerfach. Die Boulevardisierung ernster Terrains schreitet voran, und die Gefahr besteht, dass Frauen in höchsten Ämtern diesen Trend weiter beschleunigen. (Das sollte allerdings kein Grund für Frauen sein, den Weg in diese Ämter nicht konsequent anzustreben.)

Solange noch die Möglichkeit bestand, dass Johannes Rau mit einer zweiten Amtszeit die heikle Frage um eine erste Präsidentin verschieben könnte, ging allen der Spruch „Frau statt Rau“ wie Süßholz über die Lippen. Nun nähert sich die Stunde der Wahrheit und der Reim wird in vielen ambitionierten Männerköpfen bereits deutlich an Charme verloren haben – es sei denn als taktisches Geplänkel. Zu Beginn der Amtszeit dieses Bundespräsidenten gab es manche Skeptiker über den gerade Gewählten. Nun, da er in seine letzte Runde startet, werden in Kommentaren und Statements sorgfältig die Erfolge aufeinander gestapelt. Das wird vermutlich in den kommenden Monaten noch zunehmen. Immer, immer, immer geht es dabei um Inhalte. Unwahrscheinlich, dass irgendjemand überhaupt wahrgenommen hat, dass der Bundespräsident eine Frisur hat. Nur einmal, beim Bundeskanzler und seinen Haaren, schimmerte durch, worüber sonst in der Politik der Männer, und also auch bei Rau, nicht geredet wird: Das war wohl Schröders persönlicher Beitrag zur Gleichberechtigung.

Es ist ziemlich entmutigend, darüber nachzudenken, was der größte Erfolg einer ersten Frau Bundespräsidentin am Ende ihrer Amtszeit sein könnte: vermutlich, dass niemand mehr über ihre Frisur, ihre Kleider, ihre Figur redet. Das allein wäre ein riesiger politischer und gesellschaftlicher Fortschritt. So deprimierend dieser Gedanke auf Anhieb ist, so wichtig ist es auch, dass dieser Schritt endlich vollzogen wird.

Es wäre also gut, wenn im nächsten Jahr eine Frau Bundespräsidentin ihr Amt anträte. Diese Präsidentin wird sich freilich auf die härteste Amtszeit gefasst machen müssen, die es in der Geschichte dieses Landes bisher gegeben hat.

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