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Eine Frau, zwei Männer. Frauen in Führungsetagen sind rar.

© dapd

Frauenquote: Wenn 30 Prozent wie Gleichberechtigung aussehen

Bei der Debatte um Frauenquoten geht es nicht nur um Gerechtigkeit oder die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Es geht vor allem um einen Bewusstseinswandel. Und der würde allen zugute kommen.

Vor kurzem unterhielt ich mich mit einem Freund über die Friedensnobelpreise. „Den kriegen doch dauernd Frauen“, sagte er. Wir schauten nach, die Frauenquote bei den Preisträgern beträgt 12,4 Prozent. „Aber ich kann mich nur an die Frauen erinnern“, beharrte er. Mit einem Kollegen rätselte ich einmal über den Frauenanteil in unserer Belegschaft. „Ich glaube, da stehen wir ganz gut da, das dürfte sich die Waage halten“, sagte mein Kollege. Wir zählten nach, die Frauenquote lag bei 30 Prozent.

Das Phänomen kann man sehr oft beobachten. Ein Frauenanteil von 30 Prozent wird für eine paritätische Zusammensetzung gehalten, bei einer 50/50-Verteilung gibt es eine gefühlte Frauendominanz. Die Beobachtung ist auch auf Minderheiten und andere benachteiligte Gruppen anwendbar. Sobald sie sichtbar werden, wird ihr zahlenmäßiger Anteil massiv überschätzt. Zum Beispiel die Kinder in Prenzlauer Berg - die Geburtenrate liegt dort eher unter dem Berliner Durchschnitt -, oder die Kriminalitätsrate bei Ausländern. Die weitaus meisten Straftaten in Deutschland werden von ethnisch Deutschen verübt. Die Wahrnehmung ist verzerrt. Es fällt das auf, was nicht der Norm entspricht. Und die Norm ist nach wie vor männlich-weiß-heterosexuell.

Frauen sind in der Öffentlichkeit nach wie vor nicht der Normalfall, sondern (nach Simone de Beauvoir) "das andere Geschlecht". Auch wenn es noch so wünschenswert erscheint, dass das Geschlecht keine Rolle spielen würde: unsere Kultur und Gesellschaft sind von der Männlich-Weiblich-Einteilung so tief durchdrungen, dass es kaum möglich ist, ihr zu entkommen. Wer nicht glaubt, dass die männlich-zentrierte Perspektive unser Weltbild prägt, dem sei der sogenannte Bechdel-Test ans Herz gelegt. Filme werden dabei auf drei Kriterien hin abgeklopft: Es müssen - erstens - mindestens zwei Frauen mitspielen, die - zweitens - miteinander reden und zwar - drittens - über etwas anderes als Männer. Erstaunlich viele Filme fallen durch. Sie können aber auch einfach einmal die Zeitung durchblättern oder die Online-Ausgabe durchscrollen und zählen, auf wie vielen Fotos Frauen und auf wie vielen Männer abgebildet sind.

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Geprägt sind wir von diesem Weltbild alle, es ist uns oft nur nicht bewusst. Und diese Mentalität hat Auswirkungen, auch und gerade auf das Berufsleben. Frauen schneiden bei Personalbeurteilungen schlechter ab, auch wenn sie mit besseren Noten oder Qualifikationen eingestellt wurden. Wissenschaftler sprechen vom Ähnlichkeitseffekt. Menschen neigen dazu, Mitglieder der eigenen Gruppe positiver zu beurteilen als Mitglieder der Gruppe, die sie als anders wahrnehmen. Konkret heißt das: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann in einer Spitzenposition den Job wegen seines Geschlechts bekommen hat, ist groß.

Gerecht ist das nicht. Es bekommt auch einer Wirtschaft nicht gut, wenn sie das Potenzial von Frauen nicht ausschöpft. Von allein wird sich aber nichts ändern, dazu sind die Machtverhältnisse zu einseitig. Das ganze hat eher den Charakter eines sich selbst verstärkenden Systems. Die Frage ist vielmehr: Wie können Frauen zum Normalfall werden? Das geht zum Beispiel über Sichtbarkeit, Repräsentation und Einflussmöglichkeiten. Durch mehr Frauen in der Öffentlichkeit und auf Entscheiderpositionen wird sich dieser Wandel am ehesten einstellen. Und damit wären wir bei der Frauenquote. Die gut ausgebildeten Frauen allein können es nicht richten, solange sie sich an der mehrfach gesicherten gläsernen Decke den Kopf blutig stoßen. Auch eine einzelne Frau in der Chefetage kann wenig ausrichten. Um etwas zu bewirken, um die Unternehmenskultur und die Wahrnehmung zu verändern, braucht es eine kritische Masse. Soziologen setzen diese bei 30 Prozent an.

Mit dem Verzicht auf verbindliche Frauenquoten in Unternehmen hat die Regierung die Chance vertan, ein deutliches Zeichen zu setzen und einen Bewusstseinswandel zu initiieren, der längst überfällig ist. Regelungen sind ja nicht nur nervig und bürokratisch, sondern sie sind dazu da, ein Ungleichgewicht zu regulieren, und haben darüberhinaus einen entlastenden Effekt. Sie nehmen die Emotionalität aus der Sache. Deal with it, back to work. In anderen Bereichen klappt das doch auch, beim Nichtrauchen in Restaurants, bei der Anschnallpflicht im Auto. Beim Elterngeld folgte der Regelung zu den Vätermonaten so langsam ein Wandel des Familienbildes. Man gewöhnt sich daran, an Männer in Elternzeit, an Frauen in Führungspositionen.

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