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Freie Schulen in Berlin: Was ans Licht kommt

Berlins SPD will freie Schulen beschränken – und bringt sich damit selbst in Bedrängnis.

Es war ein langsamer Tod, den die älteste Berliner Waldorfschule starb. Auf jahrelange Drangsalierungen folgte 1936 das Verbot, neue Schüler aufzunehmen, und 1937 die Aufforderung an alle Lehrer, auf Adolf Hitler zu schwören. Damit war für das Kollegium das Maß voll: Es verabschiedete sich von Eltern und Schülern mit „tiefstem Schmerz“ und löste die Schule auf.

Eigentlich hat diese Episode der deutschen Anthroposophie niemanden mehr interessiert. Bis am vergangenen Freitag durchsickerte, dass die Berliner SPD-Senatorin die Neugründung freier Schulen erschweren will. Davon ausnehmen will sie nur Religionsgemeinschaften, die in der NS-Zeit zur Einstellung ihres Schulbetriebes gezwungen waren. Die Waldorfschulen sind damit außen vor, weil sie zu keiner Religionsgemeinschaft gehören. Kann die SPD das wollen?

Aber nicht nur die Anthroposophen sind alarmiert, sondern auch die kleinen Kiezinitiativen, die im sozialen Brennpunkt kostenlose freie Schulen aufbauen wollen. Sie können ihre Pläne nur umsetzen, wenn sie von Anfang an staatliche Förderung erhalten. Die geplante Gesetzesänderung macht das aber unmöglich, denn sie kippt die bisherige Möglichkeit, unter das Dach eines bewährten großen Trägers zu schlüpfen und auf diese Weise sofort öffentliche Gelder zu bekommen. Die Kiezinitiativen sind somit zum Scheitern verurteilt. Kann die SPD da mitmachen?

Der unabgestimmte Vorstoß von Sandra Scheeres brüskiert aber nicht nur die Anthroposophen, die Kiezinitiativen, die Arbeitsgemeinschaft freier Schulen und den Koalitionspartner. Er birgt für Scheeres auch die Gefahr, dass die gesamte fragwürdige Grundlage der Berliner Privatschulfinanzierung aufs Tapet kommt. Dann müsste die Senatorin erklären, warum die freien Träger in Berlin im Normalfall fünf Jahre lang auf eine Finanzierung warten müssen und nach dieser Durststrecke keinerlei Nachzahlungen erhalten, wie sie in anderen Ländern möglich ist.

Vor allem aber sollte sich die Bildungssenatorin fragen, warum immer mehr Eltern weder Mühe noch Geld scheuen, eigene Schulen aus dem Boden zu stampfen. Eine Teilantwort hat sie selbst erst kürzlich gegeben, als sie zusammen mit Fraktionschef Raed Saleh jede vierte öffentliche Schule zur Brennpunkteinrichtung erklärte.

Weniger öffentlichkeitswirksam, aber ebenfalls vielsagend ist Scheeres’ Entscheidung, die Staatliche Internationale Nelson-Mandela-Schule aus der Bezirksverantwortung herauszulösen und ihrem eigenen Haus direkt zu unterstellen. Die Botschaft ist klar: Das Lieblingskind, das attraktiv genug ist, den freien internationalen Schulen die Schüler wegzuschnappen, soll nicht mehr den maroden Bezirksfinanzen ausgeliefert werden. Dem Lieblingskind soll es besser gehen als dem Rest – als den anderen 700 öffentlichen Schulen, die bei den Bezirken bleiben und um jeden neuen Computer und jeden neuen Eimer Farbe betteln müssen. Ob diese Botschaft der SPD zusagt?

Die Senatorin hat ein großes Fass aufgemacht. Und sie tat es auf die denkbar ungeschickteste Art. Vielleicht sollte sie auf ihrer nächsten Schultour mal eine Waldorfschule besuchen und erklären, was sie sich dabei gedacht hat.

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