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Meinung: Freigestellt statt freigekauft

Warum Berlin vielleicht doch die Führung in Kabul übernimmt

Von Christoph von Marschall

Am Jahrestag des Terrorangriffs auf Amerika wird bekannt, Deutschland wolle doch die Führung der Afghanistan-Friedenstruppe (Isaf) übernehmen, mit den Niederlanden. Das Verteidigungsministerium hat den Bericht der „Welt“ zwar nicht bestätigt, nennt das aber eine Möglichkeit. Ein Dementi klingt anders. Das deutsch-niederländische Korps sagt, in 30 Tagen könne es 430 Mann, die bis zu 60 000 Soldaten zu führen vermögen, an jeden Ort der Welt verlegen. Warum jetzt? Zwei Mal hat Berlin das Isaf-Kommando abgelehnt: Erst übernahmen die Briten den Oberbefehl, dann die Türken. Noch vor kurzem wurde der neue Verteidigungsminister Struck zurückgepfiffen, als er in Kabul die Bereitschaft zur Führung erkennen ließ.

Gewiss, das Argument vom letzten Herbst – eine Überforderung der Bundeswehr, die damals das Kommando in Mazedonien innehatte – ist überholt. Deutschland hat seinen ersten Oberbefehl eines Nato-Einsatzes wieder abgegeben. Aber das galt schon, als die Türken die Führung in Kabul übernahmen.

Der Meinungswandel in Berlin steht wohl eher in Verbindung mit dem Streit über die Irak-Politik. Im besten Fall kann man sagen, die Regierung Schröder bleibe sich treu: Sie sucht einen Ausweg, wie sie die Beteiligung an einem Irak-Einsatz, den sie für ein gefährliches Abenteuer hält, vermeidet, ohne ihre Unterstützung Amerikas im Kampf gegen Terror in Frage zu stellen. Gegen Irak wolle man nicht mal finanziell mittun, bekräftigt SPD-Generalsekretär Müntefering. „Scheckbuch“-Diplomatie war der deutsche Weg im Golfkrieg 1991. „Freigekauft“ nannten das manche. Heißt es demnächst: Deutschland hat sich selbst „freigestellt“ – alle verfügbaren Soldaten sind in Afghanistan?

Das ist zwar ein eleganterer deutscher Weg als die Wahlkampf-Rhetorik, der US- Präsident sei ein schießwütiger Texaner, der die Welt in Abenteuer stürze. Aber auch Afghanistan droht zu einem gefährlichen Abenteuer zu werden – womöglich gefährlicher für die Bundeswehr als Hilfsdienste für eine Anti-Irak-Koalition, die verhindern soll, dass Saddam Massenvernichtungswaffen entwickelt, die nicht nur Israel bedrohen. Briten und Türken werden Truppen aus Afghanistan abziehen, um am Golf mitzukämpfen. Der Druck, die Isaf solle ihren Auftrag von Kabul auf das ganze Land ausweiten, wird mit jedem weiteren Anschlag in Provinzstädten wachsen. Ist es wirklich besser, wenn Deutsche ihr Leben in ehemaligen Taliban-Hochburgen riskieren, als US-Soldaten mit Spürpanzern vor Saddams Giftgas zu schützen?

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