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Meinung: Freiheit aushalten

Von Gerd Nowakowski Alle Räder stehen still, wenn der starke Arm es will. Der prahlerische Spruch von der Stärke der Arbeiterklasse entspricht nicht der Realität der Gewerkschaften.

Von Gerd Nowakowski

Alle Räder stehen still, wenn der starke Arm es will. Der prahlerische Spruch von der Stärke der Arbeiterklasse entspricht nicht der Realität der Gewerkschaften. Still stehen die Maschinen längst nicht mehr auf Befehl – aber für den morgendlichen Berufsverkehr in der Hauptstadt reicht es alle Mal. Zehntausende kamen gestern zu spät zur Arbeit, weil die Gewerkschaften für das Tariftreuegesetz demonstrierten und auf gleich zwei Routen die City in die Zange nahmen.

Die Vertreter der Unions-geführten Länder im Bundesrat, denen der Protest galt, zeigten sich wenig beeindruckt, die zwangsweise im Stau sitzenden Autofahrer um so mehr. Die bewegten keine solidarischen Gefühle für die kämpfenden Gewerkschafter sondern nur eine Frage: Dürfen die das? Sie dürfen. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit rangiert über dem Wunsch nach ungehindertem Verkehrsfluss. Zu Recht. Aber dürfen Demonstranten auch an jedem Ort, zu dieser Zeit auf die Straße gehen? Mit dieser Frage wird sich am Dienstag auch die Konferenz der Innenminister beschäftigen.

Demokratie ist manchmal eine Zumutung. Wer protestieren will, benötigt keine Erlaubnis, die Anmeldung reicht. Die Polizei darf allenfalls wegen drohender Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten oder wegen Sicherheitsbedenken eine andere Route verlangen. Deswegen wurde am 1. Mai der Marsch zum Außenministerium untersagt, und auch beim Bush-Besuch mussten die Protestler auch ausweichen.

Es darf also getrickst werden, in Grenzen. Aufmärsche aber können nur verboten werden, wenn es Hinweise auf strafbare Handlungen aus den Reihen der Teilnehmer gibt. Verwaltungsgerichte haben die Grenzen für Demoverbote sehr eng gezogen; zu eng, wie in Berlin gerade der ehemalige CDU-Innensenator Eckart Werthebach meinte. Er scheiterte bei den Richtern mehrfach mit dem Versuch, rechte Aufmärsche an symbolträchtigen Orten zu verbieten – etwa am Brandenburger Tor. Das Demonstrationsrecht gilt auch für Feinde der Demokratie – solange die Gruppierung nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten ist. Auch Provokationen muss die Gesellschaft aushalten.

Werthebachs Versuche, etwa die Neue Wache, den Pariser Platz oder das Gelände des Holocaust-Mahnmals zur demofreien Zone zu erklären, lösten kontroverse Reaktionen aus. Im Bundestag fand die Berliner Initiative zwar Sympathisanten in allen Parteien, aber keine Mehrheit. Demonstrationen von Rechtsextremen an besonderen Orten zu verbieten, das gibt das Grundgesetz nicht her, urteilte der Verfassungsrechtler Dieter Grimm Ende 2001 in einem Gutachten für den Bundesinnenminister. Einzige Ausnahme: Der Standort des Holocaust-Mahnmals. Alles andere muss die Gesellschaft, muss die Bundesregierung ertragen – selbst internationale Beunruhigung über am Brandenburger Tor marschierende Neonazis. Die Innenminister-Konferenz wird das voraussichtlich ähnlich sehen.

Ein Freibrief für Rechtsradikale? Nein. Demokraten sind frei, ihren Protest gegen Nazi-Märsche ebenfalls auf der Straße zu zeigen. Alles andere regelt die Polizei. Den Spielraum des Gesetzes zu nutzen, ist der Berliner Innenverwaltung nicht verboten. Das hält das Grundrecht aus. Die Gewerkschaft darf für Tariftreue auf die Straße gehen; einen Anspruch, flächendeckend Chaos im Berufsverkehr zu verursachen, aber findet sich im Demo-Recht nicht. Und die Stadt frühzeitig über den bevorstehenden Kollaps zu informieren, wäre das Mindeste gewesen, was die Berliner von ihrer Polizei erwarten dürfen.

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