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Meinung: Fremd im eigenen Haus

Der Streit zwischen Großbritannien und Frankreich hat eine lange Geschichte – aber keine Zukunft

Shakespeare hat in „Heinrich V.“ die heroischen Vokabeln dafür geliefert und dabei ist es geblieben. Von Azincourt bis Waterloo, von De Gaulles’ „No“ zum britischen EU-Beitritt bis zur Handtasche, mit der Frau Thatcher ihren EU-Beitragsrabatt erkämpfte, Konkurrenzneid und Misstrauen zählen zwischen Engländern und Franzosen mehr als die Perioden, in denen man dem Kontinent zu Hilfe eilte.

Nun der Eklat beim Brüssler Streit um die Milliarden, mit denen die EU jede ihrer Kühe einmal im Jahr in der Luxusklasse um die Welt fliegen lassen könnte: Eine Spitze Blairs, ein Wutausbruch des französischen Präsidenten, Absage des bilateralen Treffens im Dezember in Touquet und von Blairs Europapolitik bleibt nur noch ein Scherbenhaufen. Natürlich wird nun abgewiegelt. In Paris sagt man, die Briten spielten den Streit hoch, um Blairs Niederlage zu übertünchen. In London zeigt man Verständnis für Chiracs mannhafte Verteidigung seiner Bauern.

Das Getöse, mit dem in Brüssel der deutsch-französische Gemeinschaftsmotor wieder angeworfen wurde, überdröhnt ganze Jahre Blairscher Charmediplomatie. London glaubte ernstlich, die Zeiten „vorgekochter“ Gipfel und deutsch-französischer Vorabsprachen seien vorbei. Stattdessen bangt London nun, was der Verfassungskonvent wohl noch an Verschwörungen bringen mag. Großbritanniens Euroskeptiker haben derzeit Auftrieb wie lange nicht mehr. Man kennt es ja. Je enger Deutsche und Franzosen zusammenarbeiten, desto undurchdringlicher, distanzierter und – wie die Agrarpolitik zeigt – realitätsfremder erscheint die EU durch die Brille Londons.

Auch auf dem Kontinent sieht man die Insel dann durchs umgedrehte Teleskop: Je besser es zwischen Berlin und Paris läuft, desto weiter scheint Großbritannien über den Atlantik abgedriftet. „Die Briten wollen ja nur eine Freihandelszone“, dozierte der französische Landwirtschaftminister und bemühte wie immer, wenn es dem französischen Nationalinteresse dient, große Worte von der europäischen Identität.

Dabei hatte sich Blair so bemüht. Gemeinsame Politikpapiere mit Schröder, Vorschläge zur Reform des europäischen Rats. Offen nahm er im Bundestagswahlkampf für ihn Partei. Man glaubte in London, einen Partner für die Agrarreform gefunden zu haben. Stattdessen erweist sich der Bundeskanzler als politischer Luftikus und lässt sich von Chirac um den Finger wickeln. „A bit of an airhead“ – einen Luftikus soll Blair seinen Freund Schröder in unbedachter Stunde genannt haben.

Die Franzosen umwarb Blair 1998 in St. Malo, wo er die Entwicklung einer autonomen europäischen Militärkapazität anbot – der Anfang einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Auch die illegale französische Importsperre für britische Rinder und der Streit um das Flüchtlingslager Sansgatte ließ Blair das Lächeln nicht vergehen. Er machte vielmehr mit Chirac gemeinsame Sache in der Afrika-Initiative. Zum Knall kam es, als Blair Chiracs kurzsichtige Verweigerung der Agrarreform als Verrat an den Interessen Afrikas bezeichnete.

Der Irak mag eine Rolle spielen. Scheitert die UN-Resolution, muss Tony Blair vielleicht mit George W. Bush in den Krieg ziehen und ist vom Kontinent dann noch weiter entfernt. Jacques Chirac zeigt vor der UN schon mal seine Muskeln. Vielleicht sind aber die Differenzen hier kleiner als man denkt. Schließlich liegt doch unterm Strich beiden europäischen Sicherheitsratsmitgliedern an einer funktionsfähigen UN.

Beim französisch-britischen Streit geht es vor allem um Europa. Für die Briten ist Europapolitik in den besten Zeiten ein Balanceakt zwischen europäischen und angelsächsisch-atlantischen Neigungen. Das will man auf dem Kontinent nie recht verstehen, vor allem nicht in Paris, wo die Nähe der Briten zu den USA eine historische Irritation ist.

Aber langfristig hängt die Mitarbeit der Briten in Europa nicht von ihrer Bekehrung zu der in Sonntagsreden beschworenen „europäischen Identität“ ab, sondern davon, welchen Platz man ihnen im europäischen Haus einräumt. Darüber müssen die nachdenken, die nun den deutsch-französischen Motor wieder ölen. Auch in Berlin.

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