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Meinung: Freunde, die sich fürchten

Schröder und Blair, die Modernisierer von einst, stehen am Ende des „dritten Weges“

Von Roger Boyes

Gerhard Schröder war gerade in London, und wäre es nach der britischen Labour Partei gegangen, hätte er bleiben können: Sie hätte lieber ihn zum Vorsitzenden als Tony Blair, der sich zunehmend von sozialistischen Prinzipien entfernt. Die meisten Parteimitglieder meinen, dass Blair das Land in einen unnötigen Krieg treibt, sich Washington unterordnet und dabei seine wichtigsten Wahlversprechen vergisst: ein besseres Bildungs- und Gesundheitswesen. Ganz anders Schröder, der sich klar gegen einen Krieg ausgesprochen hat. „Hört auf Schröder – stoppt den Krieg“ war auf Plakaten bei der Friedensdemonstration in London zu lesen.

Blair versteht Schröder, weil er weiß, dass eine große Minderheit in der Labour Partei wie der Niedersachse denkt. Aber letztlich sprechen die zwei nicht dieselbe Sprache. Blair hat Zugriff auf militärische Macht, Schröder nicht. Blair hat ein doppeltes Problem benannt – Saddam Hussein als destabilisierendes Element im Mittleren Osten und die Strategie der Vereinigten Staaten, Saddam loszuwerden, die vielleicht weniger zur gewünschten Demokratisierung des Irak führt als zu seinem Zerfall. Schröder hingegen hat so gut wie nichts über Saddam gesagt – dessen tauchte bei den Wahlkampfkundgebungen kaum auf. Er erinnert lieber „Freunde“ an ihre Pflichten, als Feinde zu benennen.

Das Ergebnis? Blair kann Bush immer noch beeinflussen, Schröder kann das nicht. Zweitens hat Schröder die Möglichkeit einer gemeinsamen Mitte-Links-Strategie zerstört, nicht nur in Sachen Irak, sondern auch bei allen anderen Fragen. Das Projekt des „dritten Weges“, das ohnehin krankte, ist zusammengebrochen. Das Schröder-Blair-Papier von 1999 wirkt so aktuell wie eine ägyptische Papyrusrolle. Die beiden Männer wollten Europas Sozialdemokratie so modernisieren, dass der alte Kontinent mithalten kann mit einem von Reform-Demokraten regierten Amerika. Jetzt können nur noch die Schweden und Griechen die Mitgliedschaft in diesem Club für sich reklamieren.

Was also verbindet Schröder und Blair noch? Blairs Beliebtheit sinkt rapide, wegen seiner Pro-Kriegs-Haltung und seines schwachen Auftretens auf der innenpolitischen Bühne. Vielleicht setzt er darauf, dass ihm ein kurzer, erfolgreicher Krieg die öffentliche Unterstützung für ein Reformprogramm einbringt – wie Maggie Thatcher den FalklandKrieg nutzte –, und er so ein Referendum für die Einführung des Euro gewinnen kann.

Schröder macht das Gegenteil: Er gewinnt an Beliebtheit, indem er sich gegen einen unpopulären Krieg stellt und den Moment nutzt, um schmerzvolle Haushaltskürzungen anzukündigen. Beide Männer stehen vor einer Konfrontation mit den Gewerkschaften. In Großbritannien sind 60 Prozent der Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst Gewerkschaftler (in der Privatwirtschaft sind es weniger als 20 Prozent): Sie repräsentieren den am meisten gebeutelten Teil der britischen Gesellschaft, die Krankenschwestern, Lehrer und Busfahrer. Die Lösung für viele Probleme wäre eine schnelle Privatisierung in der medizinischen Versorgung und im Schulwesen. Aber Blair, der offenbar keine Angst vor Saddam hat, fürchtet sich vor den Gewerkschaften. Schröder für seinen Teil muss die Deregulierung zum Kern seiner Reformpolitik machen. Auch er fürchtet die Gewerkschaften – noch mehr als Blair. Kein Wunder, dass Labours Gewerkschaftsflügel Schröder liebt (und Blair misstraut).

Was es wirklich kompliziert macht für Blair: Er muss den richtigen Moment für das Euro-Referendum finden. Das, und nicht Bomben auf Bagdad, definiert seinen Platz im Geschichtsbuch. Die historische Last für Schröder: Deutschland hat nie eine Revolution à la Margaret Thatcher erlebt – Haushaltskürzungen, Privatisierung und Gewerkschafts-Bashing. Erst diese Revolution hat es Tony Blair ermöglicht, seine Macht in der Mitte zu konsolidieren.

Schröder hat Deutschland von seinen historischen Hemmungen befreit – genau das zeigt die Anti-Kriegs-Kampagne. Aber er hat nicht die Kraft oder den politischen Willen, die Wirtschaft von ihren überholten Traditionen zu befreien. So wird er niemals im Stande sein, die Wachstumsraten zu erreichen, die Deutschland braucht, um die Arbeitslosigkeit ernsthaft zu reduzieren.

Eines haben Blair und Schröder gemeinsam: Ihnen fehlt das Gefühl für die zentralen Fragen der Zeit. Für Blair ist es die Frage nach Großbritanniens Platz in Europa. Für Schröder die Befreiung der Wirtschaft. Im Moment lenkt der Krieg von diesen Problemen ab, doch verschwinden werden sie nicht.

Der Autor ist Korrespondent der „Times“.

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