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Eine Aktivistin neben einem Foto von Liu Xiaobo.

© dpa

Friedensnobelpreis: Die Macht der Machtlosen

Der Friedensnobelpreis macht dem Empfänger in einer Weise Mut, die ähnlich nur der Literaturnobelpreis bewirken kann. Doch die Geehrten sind Machtlose. Der Preis kann ihnen nicht die Freiheit bringen.

Es stimmt wohl – China ist für den Westen ein Land voller Rätsel. Unfassbar groß, von beeindruckender Wirtschaftsdynamik, voller Geringschätzung gegenüber unseren Vorstellungen von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Ja, wir verstehen China wohl nicht. Aber China versteht auch uns, versteht den Westen nicht. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Regierung in Peking möglicherweise tatsächlich geglaubt hat, sie könne durch die Drohung mit verschlechterten diplomatischen Beziehungen zu Norwegen verhindern, dass das Nobelkomitee in Oslo den Bürgerrechtler Liu Xiaobo mit dem Friedensnobelpreis auszeichnet. Das Gegenteil geschah. Der Sekretär des Nobelkomitees machte die Warnungen aus China öffentlich und setzte damit ein Zeichen: Wir lassen uns nicht erpressen.

Tatsächlich hat die kommunistische Führung völlig richtig erkannt, dass diese Auszeichnung weltweit als für Peking überaus peinliches Fanal gegen die Unterdrückung Andersdenkender verstanden werden würde. Liu Xiaobo wurde 2009 zu elf Jahren Gefängnis verurteilt, weil er sich mit der maßgeblich von ihm initiierten „Charta 08“ für mehr Demokratie eingesetzt hatte. Der namentliche Bezug auf die Charta 77 von Vaclac Havel war weltweit verstanden worden, und der frühere tschechoslowakische Präsident hatte sich ja auch ausdrücklich für die Verleihung der Auszeichnung an Xiaobo eingesetzt. Bislang war erst einmal ein Inhaftierter mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden – der deutsche Pazifist Carl von Ossietzky. Das geschah im Jahre 1936 rückwirkend mit dem Preis für 1935. Zwei Jahre später, 1938, starb von Ossietzky, ein Opfer der Nazifoltern.

Nicht nur diese Nachbarschaft ist für das auf seine unbestreitbaren wirtschaftlichen Erfolge so stolze China eine moralische Last. Genauso schwer wiegen die Namen anderer, früher geehrter Menschenrechtler, denn jeder dieser Namen steht für den friedlichen Kampf gegen die Unterdrückung von Menschenrechten: 1964 Martin Luther King, die Lichtgestalt der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA; 1975 der Russe Andrej Sacharow, 1983 Lech Walesa, 1984 Desmond Tutu, 1989 der Dalai Lama, 1991 die Birmanin Aung San Suu Kyi und schließlich 2003 die iranische Dissidentin Shirin Ebadi. China findet sich so in einer Reihe mit ehemaligen oder noch nicht abgelösten Gewaltherrschaften rund um den Globus, und die Tatsache, dass auch die Namen vier weiterer prominenter Chinesen auf der Kandidatenliste des norwegischen Nobelkomitees standen, zeigt, dass Liu Xiaobo keine bedauerliche Ausnahme in einem ansonsten ordentlich geregelten Verhältnis zwischen Staat und Bürger in China ist.

Der Friedensnobelpreis macht dem Empfänger in einer Weise Mut, die ähnlich nur der Literaturnobelpreis bewirken kann. Die Auszeichnung für Alexander Solschenizyn 1970 etwa hatte die moralische Dimension des Friedenspreises. Der wird verliehen von einer Institution, die im physischen Sinne machtlos ist, deren moralische Autorität aber gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Auch die Geehrten sind Machtlose. Der Preis kann ihnen nicht die Freiheit bringen, aber er schützt vor Folter und Tod. Der Preis legt sich wie ein Schutzschirm um die durch ihn Herausgehobenen, er macht sie unantastbar.

Der Friedensnobelpreis ist also eine Insignie der Macht der Machtlosen. China kann die Länder dieser Erde mit seiner Dynamik und seinem Anspruch auf Weltgeltung beeindrucken. Es kann die Rohstoffe Afrikas aufkaufen und die ertragreichen Böden Südamerikas. Es kann mit seinen Devisenreserven die US-amerikanische Wirtschaft in die nächste Krise stürzen und mit seiner militärischen Macht die Region dominieren. Aber China wird diesen 54-jährigen unabhängigen Geist namens Liu Xiaobo nicht vernichten, obwohl es das könnte – denn die politische Führung in Peking wird sich, wenn auch zornbebend, der Erkenntnis nicht verschließen, dass Xiaobo langfristig den richtigen Weg weist. Der deutsche Bundespräsident hat in seinem Glückwunsch an ihn lobend daran erinnert: China hat auf seinem Weg zu den Menschenrechten große Fortschritte gemacht.

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