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G-20-Gipfel: Üben für die Weltregierung

So unbefriedigend das Ergebnis auch sein mag, der Londoner Gipfel markiert gleichwohl eine epochale Wende in der Weltpolitik. Denn unübersehbar demonstrierten die versammelten Staatschefs, dass sie die wichtigste Lehre aus der laufenden Weltkrise verstanden haben.

Ein paar Stunden Verhandlungen, ein großes Gruppenfoto und eine Abschlusserklärung mit vielen Versprechungen und nur wenig verbindlichen Vereinbarungen – es ist einfach, die Londoner Konferenz der G-20-Staaten als bloße Show-Veranstaltung abzutun.

Immerhin haben die Teilnehmer mangels Einigkeit oder Einsicht über die Beseitigung von zentralen Ursachen für die große Krise gar nicht erst verhandelt. Es war der Wettbewerb um Standortvorteile, der weltweit den Wettlauf der Staaten um die schwächste Regulierung der Finanzindustrie antrieb und so den Exzessen der Banker Tür und Tor öffnete. Wie derlei künftig verhindert werden soll, darauf haben die Weltenlenker keine überzeugende Antwort gefunden. Auch das enorme Ungleichgewicht im Handel zwischen China und den Vereinigten Staaten, das über die Rückschleusung der chinesischen Dollarüberschüsse auf den US-Kapitalmarkt wesentlich zu Amerikas Schuldenkatastrophe beitrug, war in London kein Thema. Und die extreme Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, die fortwährend die Übermacht der Dirigenten der Kapitalströme über die Politik nährt, war ein regelrechtes Tabu. Keiner der beteiligten Minister und Staatschefs verlor darüber auch nur ein Wort.

Doch so unbefriedigend das Ergebnis auch sein mag, der Londoner Gipfel markiert gleichwohl eine epochale Wende in der Weltpolitik. Denn unübersehbar demonstrierten die versammelten Staatschefs, dass sie die wichtigste Lehre aus der laufenden Weltkrise verstanden haben: Es gibt keine nationalen oder auch nur regionalen Auswege mehr. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen die Minderheit der Wohlstandsstaaten die Regeln machte und alle anderen ihr folgen mussten. Stattdessen werden nun auch die Schwellen- und Entwicklungsländer, und damit die Repräsentanten der großen Mehrheit der Menschheit, gleichberechtigt an der Gestaltung der Regeln für die global vernetzte Weltgesellschaft beteiligt. Und absehbar ist mit den Londoner Vereinbarungen, dass dies alsbald nicht nur für die informelle G-20-Runde gelten wird, sondern auch dort, wo die handfesten Beschlüsse fallen: im Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht.

Dabei geht es keineswegs um ein geopolitisches Nullsummenspiel, wonach mit dem Zuwachs an Einfluss für China oder Brasilien ein Machtverlust für die USA oder die EU einhergeht. Wer so denkt, folgt noch der Schachbrettlogik des vergangenen Jahrhunderts. Was wirklich zählt, ist vielmehr die Einsicht, dass die globale Interdependenz, die gegenseitige Abhängigkeit der Völker und Nationen voneinander, das prägende Merkmal unserer Zeit ist. Ehedem sprachen nur Idealisten vom „Raumschiff Erde“, heute beschreibt diese Metapher die ganz praktischen Anforderungen an die Politik im 21. Jahrhundert. Gleich ob bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise oder beim Umgang mit dem Klimawandel, ob bei der Energieversorgung oder der Sicherung der Nahrungsmittelerzeugung, stets gilt die gleiche Maxime: Die einzige Alternative zur globalen Kooperation sind globalisierte Katastrophen.

Gewiss, die großen Lücken auf der G-20-Agenda zeigen an, welch enorme Interessengegensätze der nötigen „global governance“, also dem globalen Regieren entgegenstehen, weil alle Beteiligten sich schließlich auch weiterhin auf nationaler Ebene vor ihren Bürgern rechtfertigen müssen. Insofern war dieser Gipfel allenfalls eine Übungseinheit auf einem langen Weg. Aber ein Anfang ist gemacht.

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