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Gaddafis Ende: Der Westen hat zugesehen

Westliche Politiker und Diplomaten gratulieren den libyschen Rebellen brav zur ihrem Triumph. Doch Tatsache bleibt: Jahrzehntelang hat der Westen der wandelnden Ölquelle Muammar al Gaddafi allzu bereitwillig die Hand gereicht.

Von Caroline Fetscher

Aus. Endgültig aus ist es nun auch mit der Ära des wohl bizarrsten Machthabers, den die postkoloniale Welt produziert hat. Libyens Muammar al Gaddafi, offenbar getötet auf der Flucht vor Rebellen, kann ab jetzt eingereiht werden in die Serie der Autokraten, die im Zuge der Aufstände in der arabischen Welt, der Arabellion, ihr Ende erfahren haben.

So großartig diese Wende des Geschehens für die arabische Welt ist, die täglich stolzer auf sich sein kann, so bitter ist es für den Westen, der historischen Wahrheit ins Auge zu sehen, wer, wann und warum diesem Mann auf den Leim gegangen war. Angetreten war der 1942 Geborene einst selber als Rebell, dessen Grünes Buch von 1975 das Ende des Kapitalismus propagierte, die Umverteilung des Ölreichtums auf alle, Bildung für die Massen, auch für Mädchen und Frauen. Das klang für viele gar nicht übel.

Nach und nach spiegelte Gaddafis Karriere dann sämtliche postkolonialen Irrwege, die es überhaupt gab und gibt. Auf jeder Etappe erfand er sich neu, wobei er wechselnd Anhänger verlor und gewann. Von Phasen des Sozialismus und Antikolonialismus, des arabischen Nationalismus und des Panarabismus gelangte er zum Islamismus und schließlich zu einer kruden Kombination aus Pakten mit westlichen Ölkunden und Gewaltherrschaft im eigenen Land.

Aus dem Militärherrscher „Colonel Gaddafi“, der als Terrorpate aktiv war, wurde vor knapp zehn Jahren dann einer, mit dem sich der offizielle Westen arrangierte, da er dem Terror abschwor, auf Massenvernichtungswaffen verzichtete und Geschädigten im Westen Schmerzensgeld zahlte. Dass die Folteropfer in den Kerkern Libyens davon freilich nichts hatten, schreckte hier niemanden ab. Man schüttelte die Hand der wandelnden Ölquelle, während man insgeheim den Kopf schüttelte über Gaddafis weibliche Leibgarde, seine Operettenuniformen und die Marotte des maghrebinischen Milliardärs, bei Besuchen stets mit eigenem Beduinenzelt anzureisen. Mit dieser Haltung schützte man die Illusionen des Psychopathen und lieferte ihm weitere Opfer aus.

„Sie lieben mich alle! Mein Volk liebt mich!“, tönte Gaddafi noch vor wenigen Monaten. Tatsächlich galt der Mann, der sich als Befreier Afrikas gerierte, so manchen afrikanischen Politikern noch immer als deren treuer Genosse. Grotesk die Blindheit, mit der man im Westen und Süden aus unterschiedlichen Motiven heraus bereit war, Gaddafi Geltung zu verschaffen. So ließ man einen Herrscher hoffähig bleiben, der über die Jahre zum Zerrbild eines kolonialen Potentaten mutierte, wie ihn nur ein B-Movie aus Hollywood hätte präsentieren können. Gestern erklärte der libysche Historiker Faraj Najem der BBC, Gaddafi habe „Waffen sozialer Massenvernichtung“ gegen seine Bevölkerung eingesetzt. Noch als Deutschlands Außenminister sich gegen die Nato-Hilfe für Libyens Aufständische entschied, waren unserer Regierung solche Fakten egal.

Jetzt aber ist die stärkste aller Tatsachen geschaffen, das physische Ende dieses Diktators und seiner Diktatur. Ein hoffnungsvolleres Signal für diejenigen, die in Syrien oder im Jemen noch gegen offiziellen Machtmissbrauch kämpfen, könnte es kaum geben. Auch die Wähler in Tunesien, die an diesem Sonntag nun erstmals über eine neue, eine demokratische Regierung entscheiden, dürfte das inspirieren. Wo die Bevölkerung mit einem wie Gaddafi fertig wird, da wird alles möglich.

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