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Meinung: Ganz schön abgedreht

Mit seiner Energie-Erpressung will Russland vor allem eines erreichen: separate Lieferungen mit den europäischen Endverbraucherstaaten. Ausgerechnet Deutschland ist auf diese Strategie bereits hereingefallen. Aber muss Europas Gas unbedingt aus Russland kommen?

Da sind sie wieder, Dr. Putin und seine Gasprom, die Europa mitten im kalten Winter in eine Energiekrise stürzen. Glaubt man dem promovierten Ministerpräsidenten Russlands (Thema seiner Doktorarbeit: "Strategisches Planen bei der Nutzung der Rohstoffbasis einer Region"), dann ist die demokratisch gewählte, aber chaotische und "räuberische" Regierung in der Ukraine alleine Schuld an der derzeitigen Gaskrise.

Kiew würde Gas abzweigen, heißt es bei Gasprom, zudem wolle es keinen marktüblichen Preis für russisches Gas bezahlen. Das stimmt freilich nur zum Teil. Denn wieder will Russland mit seiner Energie-Erpressung vor allem eines erreichen: separate Lieferungen mit den europäischen Endverbraucherstaaten. Die, so Putins Mantra, würden aus eigenen Pipelines beschwerdefrei Energie erhalten - und Ukrainer, Polen, Balten und Georgier könnten sich nicht mehr dazwischenstellen. Ausgerechnet Deutschland ist auf diese Strategie bereits hereingefallen: Gegen den Willen von sechs EU-Partnern baut es mit der Ostseepipeline ("North Stream") eine eigene Röhre. Und auch durch Ungarn und Griechenland soll, nach massivem russischen Werben, nun eine südliche Gasprom-Leitung gelegt werden ("South Stream").

Beide Leitungen sind ein Desaster. Sie verhindern eine gemeinsame europäische Energieaußenpolitik und treiben die EU-Länder Polen, Tschechien, die Slowakei und das Baltikum 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges wieder direkt in die energiepolitische Abhängigkeit von Russland. Deshalb braucht Europa schon im eigenen Interesse eine stärkere Vernetzung seiner Energieversorgung. Es kann nicht angehen, dass einzelne EU-Partner oder nach Europa strebende Staaten unter Verweis auf tatsächliche oder vorgeschobene Differenzen mit Moskau in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Es ist ja kein Zufall, dass ausgerechnet die jüngsten EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien am ärgsten von Lieferproblemen betroffen sind.

Will man vergleichbare Erpressungen künftig vermeiden, müssen Europas Regierungen einen funktionsfähigen Energiebinnenmarkt und mehr länderübergreifende Energienetze schaffen. Eine eigene europäische Energieaußenpolitik, die mit Hilfen im Krisenfall und einer Verpflichtung zu Notvorräten auch eine solidarische Komponente erhält, ist überfällig. Und statt sich gegeneinander ausspielen zu lassen, sollten Europas Regierungen mit einem eigenen Pipelineprojekt ihren Anspruch auf eine souveräne Rolle in der weltweiten Energieversorgung unterstreichen. Das Projekt dazu liegt auf dem Tisch: Nabucco, eine Energieleitung, die unter Umgehung Russlands Gas aus Zentralasien nach Europa schaffen soll. In Ungarn, das sich im vergangenen Jahr gegen Nabucco entschied und stattdessen auf Gasprom setzte, ist man nach Putins erneuter Erpressung bereits nachdenklich geworden. Und in Berlin?

Putin ist nicht verpflichtet, sein Gas unter Marktwert zu verkaufen. Aber den Hahn zuzudrehen setzt nicht nur dem Nachschub ein Ende, sondern auch dem Vertrauen, der Verlässlichkeit und der langfristigen Glaubwürdigkeit.

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