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Das Münchner Oberlandesgericht im Zerrspiegel? Das Urteil der Medien ist zu harsch, sagt unser Gastautor.

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Gastbeitrag: Journalisten verwechseln die Justiz mit der Politik

In der Berichterstattung zum NSU-Prozess schlagen Journalisten über die Stränge. Ihre Kritik am Gericht ist harsch. Doch die Medien sollten Gerichte nicht wie Politiker beurteilen.

Ein Außenstehender könnte den Eindruck gewinnen, hier tage das Jüngste Gericht. So gewaltig sind die Erwartungen, die die Öffentlichkeit an das Oberlandesgericht in München hat. Was soll es nicht alles liefern? Natürlich, das ist das Mindeste, hat es die Wahrheit zu ermitteln. Die Verstrickungen der Geheimdienste und Ermittlungspannen aller öffentlichen Stellen sollen aufgeklärt werden. Durch das Verfahren sollen verdeckte Netzwerke enttarnt, ja der gesamte braune Sumpf trockengelegt werden. Das Gericht möge, so ist zu lesen, – endlich – den Opferfamilien ihre Würde zurückgeben. Der Prozess soll das Ansehen Deutschlands in der Welt wiederherstellen. Das Gericht soll der kollektiven deutschen Scham ein rehabilitatives Gegengewicht entgegensetzen. All dies soll in einem Verfahren mit größtmöglicher Transparenz geschehen, gerne auch unter Revolutionierung der Auslegung unmoderner Regeln über die Gerichtsöffentlichkeit.

Angesichts dieser Heilserwartungen könnte man annehmen, dass die Öffentlichkeit dem Gericht so etwas wie Ehrfurcht, wenigstens Respekt, jedenfalls aber eine redliche intellektuelle Befassung entgegenbrächte. Die publizistische Wirklichkeit erweist das Gegenteil. Seit Wochen ist das OLG München Gegenstand einer erstaunlich undifferenzierten Berichterstattung und Ziel einer konzertierten, bis in den Unterhaltungsbereich reichenden Skandalisierung. Dass es im ZDF als das „dümmste Gericht“ verspottet und der Vorsitzende in der „taz“ als „kompromissloser Choleriker“ abgekanzelt wird, sind nur zwei schrille Töne im Konzert der veröffentlichten Meinung. Aber wehe der Vorsitzende eines großen Verfahrens zeigt Schwäche. Er ist dann flugs „überfordert“, er „gibt die Zügel aus der Hand“, und das Verfahren „entgleitet“. Man könnte meinen, es gäbe nur diese Alternativen. Auf jeden Fall Daumen runter.

Urban Sandherr ist Richter am Kammergericht Berlin und Redaktionsmitglied der Deutschen Richterzeitung.
Urban Sandherr ist Richter am Kammergericht Berlin und Redaktionsmitglied der Deutschen Richterzeitung.

© privat

Diese journalistische Dysfunktionalität im Umgang mit der Justiz hat einen Grund: Der Blick der Presse auf staatliche Institutionen ist geprägt durch den Umgang mit der vollziehenden und der gesetzgebenden Gewalt. Dort herrscht das Primat des Politischen. Menschen haben sich zur Wahl gestellt und müssen in der Folge ihre Entscheidungen vertreten. Die Antwort der Politik sind Pressekonferenzen, Presseerklärungen, Interviews und Hintergrundgespräche. Ein Spiegelbild dieser fragenden Öffentlichkeit und eines (ver-)antwortenden Staates gibt es im Bereich der Rechtspflege nicht. Kurz gesagt: Die dritte Gewalt beantwortet keine Fragen, sie spricht Recht. Was sie mitzuteilen hat, erklärt sie im Urteil. Und das steht erst am Ende eines mitunter langen oder jahrelangen Verfahrens. Die Pressestellen der Gerichte geben zwar Presseerklärungen ab, und sie beantworten journalistische Fragen so gut es geht. Aber sie sind eben Teil der Gerichtsverwaltung, sie entscheiden nicht. Und natürlich kennen sie die Verfahren auch nicht so gut wie die Richter, die ihnen nicht zur Rechenschaft verpflichtet sind. Dass sich Spruchkörper nicht selbst erklären können, liegt auf der Hand: Sie liefen Gefahr, für befangen gehalten zu werden.

Der Rechtspflege fehlt damit jede Ausstattung zur Abwehr ungerechtfertigter Angriffe. Zu Fragen der Öffentlichkeit kann sie sich oft nicht umfassend äußern. Gegen Vorwürfe kann sich sie sich meist nicht zur Wehr setzen. Diese Asymmetrie verlangt eine intelligente und sachkundige, verantwortliche und moderate Auseinandersetzung mit der dritten Gewalt.

In München tagt nicht das Jüngste Gericht, noch nicht einmal eine Wahrheitskommission. Hier sitzen fünf Richter, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren darüber zu entscheiden haben, ob sich die Angeklagten strafbar verhalten haben. Dies darf und muss die Öffentlichkeit verlangen. Im Gegenzug erwartet die Rechtspflege ein Bewusstsein für ihre Sonderstellung in der publizistischen Auseinandersetzung.

Der Autor ist Richter am Kammergericht Berlin und Redaktionsmitglied der Deutschen Richterzeitung.

Urban Sandherr

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